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Kultur: Die Fackel im Bücherraum

Ein Symposium vermisst die Grenzen des Künstlerstaates von Nero bis George: Mehr Licht!

Seitdem Nero, der erste Künstler auf dem Thron, Rom in Brand steckte, um den Untergang der mythischen Gründerstadt Troja zu besingen, funkelt und zischelt es immer, wenn vom Künstlerstaat die Rede ist. Das war nicht anders, als Ulrich Raulff eine ausgelesene Gelehrtenrunde versammelte, die Ende vergangener Woche im Wissenschaftskolleg die ästhetischen Potentiale und Grenzen des „Künstlerstaates“ vermaß. Wenn der moderne europäische Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann, wie der Verfassungshistoriker Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal berühmt formuliert hatte – wie ist es dann um den Künstlerstaat bestellt? Verbraucht er jene normativen Voraussetzungen für seine ästhetische Repräsentation oder schafft er mit seinen wilden ästhetischen Energien erst die Bedingungen moderner Staatlichkeit? Wie souverän ist der Künstlerstaat?

Egon Flaig (Greifswald) zeigte an Gerüchten und Legenden der antiken Welt, dass es auch um die Souveränität des Künstlerkaisers Nero nicht gut bestellt war. Nero, der sich auf Münzbildern gerne als Sänger mit der Kithara abbilden ließ, war in der Brandnacht abwesend. Er musizierte. Wer im Ausnahmefall aber an der Kithara zupft, ist nicht souverän. Neros Fall zeige, so der Althistoriker Flaig, dass „die Ästhetisierung von Politik Grenzen habe“.

Mit „Grenzen“ war denn auch das Leitmotiv des Symposiums gefallen. Hat der Künslerstaat sich dem harten politischen Kernkriterium der „Grenzen“ zu beugen? Oder ist er, wie der Kunsthistoriker Horst Bredekamp (Berlin) immer wieder in den Grenzstreit einwarf, eine „exterritoriale“ Macht mit der ästhetischen „Lizenz des Unbegrenzten“? Mit Verve erinnerte Bredekamp an die Souveränität der Renaissance-Künstlergötter. Michelangelo oder Cellini hätten sich mit heroischen Verweigerungsgesten dem Moralgebot ihrer Zeit enthoben – „Cellinis Hände waren Zeit seines Lebens voller Blut“. Die Künstlergötter seien damit zu den eigentlichen souveränen Vorboten des politischen Absolutismus geworden.

So viel Vorschuss-Empathie für den Künstlerstaat wollte der Literaturwissenschaftler Ernst Osterkamp (Berlin) im anschließenden Vortrag über Goethes und Anna Amalias Weimar nicht aufbringen. Goethes Weimar sei zu keiner Zeit ein Künstlerstaat gewesen, wie Goethe, der aufgeklärte Meister der Trennungen, als Minister auch niemals Künstler sein wollte. Osterkamp unterlief alle idealistischen Erwartungen; Künstlerstaat sei Weimar immer nur für die Philister und Epigonen gewesen. Dagegen seien zu allen Zeiten, spöttelte Osterkamp, Klatsch, Neid und Intrige die heimlichen Regenten Weimars gewesen. Mit solcherart „literarischen Zuständen“ (Karl August Böttiger) lasse sich aber kein Staat und auch kein Künstlerstaat machen. Bei Osterkamp schrumpfte der Staat der Olympier auf Zwergengröße. „Der Rest war Kulturtourismus.“

Der junge Berliner Kunsthistoriker Michael Thimann, der als „Raffaelino“ an der Disputation der gelehrten älteren Herren teilnahm, stieg hinab in die mönchische Malerzelle des 19. Jahrhunderts und zeigte in einem Rundgang durch den Bildersaal des Nazareners und orthodoxen Kunstasketen Johann Friedrich Overbeck, wie man als klandestiner Medienpolitiker in Demutskutte auch ohne Land Macht ausüben kann. Nach diesem erneuten das-Land-der-Kunst-Argument war die Fackel bei Gastgeber Ulrich Raulff („Süddeutsche Zeitung“) und dem George-Kreis angelangt.

Stefan Georges Künstlerstaat kannte keine Grenzen. Literatur und Kunst waren, wie Raulff an den Monumental-Monographien der um George kreisenden Gelehrten zeigte, immer auch „schöne Politik“. Und die politischen „Täter“ - Caesar, Friedrich II., Napoleon – für die Georgeaner große Künstler, die den Staat wie eine Plastik formten. An das Ende seines Vortrages stellte Raulff aber keinen neuen künstlerischen Gewaltmenschen, sondern einen Emigranten. René König, der später berühmte Kölner Soziologe, der in jungen Jahren einer Zelle des George-Kreises nahe stand, hatte 1940 im Schweizer Exil dem Künstlerstaat des „Meisters“ die „Lizenz des Unbegrenzten“ entzogen. Wenige Tage vor der deutschen West-Offensive holte der Emigrant den Künstlerstaat zurück in den „Raum des Buches“. Sind die Dämonen damit aber auf ewig gebannt? Jedenfalls erwiesen sich die Befürchtungen, hier könnte sich eine kleine liberale Gelehrtenzelle zu einem neuen Kunstkönigstum entgrenzen, als unberechtigt. Konnte man diese Befürchtungen noch zu Tagungsbeginn hegen, so hielt Raulff im Wissenschaftskolleg die Flamme einstweilen hinter dem Buchrücken verborgen.

Stephan Schlak

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