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Kultur: Die Farbe des Abschieds

Starke Stimme, fragile Songs: Die Jazzsängerin Efrat Alony bekommt den Karl-Hofer-Preis

Ein Song kann den Tag retten: die am Morgen aufgeschnappte Melodie, die bis zum Abend im Ohr hängen bleibt, zwei, drei Textzeilen, die noch lange nachhallen. Zum Beispiel: „The stranded sunshine on cold days in winter / The warmth that wraps me / When singing forgotten lullabies.“ Sanft angeschlagene Klavierakkorde wehen vorbei, der Bass grummelt melancholisch, darüber schwebt eine entrückt seufzende Altstimme. Sie zählt Lieblingserinnerungen auf, die kleinen Weltwunder des Alltags. Die klare Luft nach einem Gewitter, der Sprung in eiskaltes Wasser, tanzende Wellen auf einem See. Und das Sonnenlicht an kalten Wintertagen, die Wärme, die die Sängerin umhüllt, wenn sie ein vergessenes altes Lied singt.

„Musik ist wie nach Hause zu kommen, eine sehr große Ausgleichsmöglichkeit“, sagt Efrat Alony. Davon handelt ihr Lied „Singing My Song“, eine hinreißende Ballade, die gewissermaßen das Singen selbst besingt. Musik als Seelenheimat und Lebensanker. Eine solche Liebeserklärung von einer Sängerin klingt erst einmal wenig überraschend, allerdings findet sie sich auf einem Album mit dem Titel „Unarmed And Dazed“, unbewaffnet und benommen. Der Titelsong beschreibt das Gefühl des Verlassenwerdens und kommt zu der bitteren Pointe: „Sometimes it’s easier to be numb“, manchmal ist es besser, betäubt zu sein. Es geht um Verluste und Abschiede, ein Stück heißt „The Color Of Endings“. Eine auf Keyboardteppichen und Streicherwolken gebettete Schwermut durchzieht die Platte, die Gegenwelt dazu beschwört „Singing My Song“: die Freude des Musizierens.

Efrat Alony sitzt in einem Café an der Kreuzberger Bergmannstraße, rührt in ihrer Tasse und wirkt überhaupt nicht schwermütig, eher: aufgekratzt. „Das letzte Jahr war super, auf einmal sitzt man vor einem Haufen guter Sache“, sagt sie. „Unarmed And Dazed“, ihr drittes Album, konnte die in Berlin lebende Israelin dank einer Koproduktion mit dem RBB in einem großen Studio aufnehmen, mit ihrem Jazzquartett und einer Streichergruppe. Anschließend schickte Alony die Aufnahmen an das Münchner Label Enja, eine Firma mit Weltruf, zu deren Künstlern einige ihrer Idole wie Abdullah Ibrahim oder Rabih Abou-Khalil gehören. Enja brachte die Platte tatsächlich heraus, die Kritiker überschlugen sich. Alonys Songs „weiten sich zu kleinen, mindestens ebenso sehr mit der Musik wie mit dem Text erzählten Ohrfilmen aus“, befand die „Zeit“. Und nun, noch ein Triumph, bekommt die Sängerin den mit 5000 Euro dotierten Jazz-Performance-Preis der Karl-Hofer-Gesellschaft. Die mit einem Konzert verbundene Preisverleihung findet dort statt, wo das Album eingespielt wurde: im Kleinen Sendesaal des RBB.

„Der Preis gibt Energie, er verleiht mir das Gefühl, dass sich meine Arbeit lohnt.“ Alony trägt eine seidig schimmernde Sweaterjacke, Bluejeans und schwarze Stiefel. Ihre schwarzroten Korkenzieherlocken wippen beim Erzählen. Sie spricht akzentfreies Deutsch, manchmal mischt sich eine englische Wendung in ihren Redefluss. „Truthful“, so beschreibt Alony die Lieder ihrer Lieblingssängerin Joni Mitchell, und um diese größtmögliche Ehrlichkeit geht es ihr auch mit der eigenen Musik: die „pure Wahrheit“ zu singen. „It’s not my roots“, sagt sie über die Standards von Gershwin, Irving Berlin und Cole Porter, das Songmaterial, auf das Jazzsängerinnen derzeit weltweit wieder besonders gerne zurückgreifen. Sie mag amerikanischen Jazz und hat auf ihrer ersten Platte auch „Everything Happens To Me“ gesungen. Aber mit eigenen Stücken, findet sie, „habe ich viel mehr zu sagen“.

Efrat Alony, 1975 als Tochter irakischer Einwanderer in Israel geboren, hat den Begriff „Jazz“ erst kennengelernt, als sie nach Abitur und Militärdienst eine Ausbildung an einem Berklee College of Music assoziierten Konservatorium bei Tel Aviv begann. Sie konnte Klavier spielen, beherrschte aber keine Noten und hatte in einer Schülerband gesungen. In der Plattensammlung ihres Vaters war sie auf die Musik von Pat Metheny und den Beatles gestoßen. Ein nachhaltiger Einfluss: Auf „Unarmed And Dazed“ verwandelt sie „She’s Leaving Home“ in eine minimalistische Klaviergeigennummer. Eigentlich wollte sie Psychologie studieren, „aber nach zwei Wochen auf dem Konservatorium war klar, dass für mein weiteres Leben nichts anderes infrage kommt als die Musik“.

Alony setzte ihre Ausbildung an dem Berklee College in Boston fort und besuchte Kurse bei Jazzgrößen wie Bob Brookmeyer und Joe Lovano. Einer ihrer Kommilitonen war der deutsche Keyboarder Mark Reinke, dem sie 1997 an die Hanns-Eisler-Musikhochschule nach Berlin folgte. Reinke ist bis heute ihr wichtigster musikalischer Partner und Co-Autor vieler ihrer Stücke. Dass sie als Jüdin nach Deutschland ziehen wollte, sorgte in der Umgebung ihrer israelischen Familie für Befremden. „Manche fragten: Muss es unbedingt Berlin sein?“ Heute fühlt sich Alony in der deutschen Hauptstadt „sehr wohl“, an der Hanns-Eisler-Schule, wo sie nach ihrem Diplom gleich zur Lehrbeauftragten aufstieg, gibt es inzwischen eine eigene kleine Community israelischer Studenten.

In ihren Texten spielt die Sängerin mit Worten und Stimmungen, sie reiht Assoziationen aneinander, ohne den Liedern ihr Rätsel zu nehmen. Am Anfang von „Blindfolded“, einem ihrer fragilsten Songs, stand ein Satz, in dem ein ganzer Roman verborgen sein könnte: „And she forgot all his fairytales“. Daran hängt sie Beziehungsszenen und einen Gedankenstrom über den Zustand des Verblendetseins auf. „Mich interessieren Stücke, die mehrere Ebenen haben, wo die Harmonien aufgebrochen werden, Musik und Text miteinander in Spannung stehen“, sagt sie. Im Herbst will Efrat Alony mit neuen Kompositionen ins Studio gehen.

Das Preisträgerkonzert der Karl-Hofer-Gesellschaft mit Efrat Alony beginnt heute um 20 Uhr im Kleinen Sendesaal des RBB (Masurenallee 8–14).

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