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Kultur: Die Farbe wird dünner

Wie die Hartz-IV-Reform Künstler in Berlin daran hindert, ihrem Beruf nachzugehen

Irgendwann war die Schmerzgrenze überschritten. Ein Jahr lang hatten sich die zwei Künstler, die in dieser Geschichte die Hauptrolle spielen, dem Bürokratie-Wahnsinn der Jobcenter unterworfen. Sie hatten Bewerbungen geschrieben, Leistungsnachweise erbracht und sich mit Amtsvertretern gestritten. Zum Malen, ihrer eigentlichen Profession, war kaum Zeit geblieben. Nun sollten sie auf einmal alle Zuwendungen zurückzahlen. Die beiden meldeten sich ab. Ohne Arbeitslosengeld, so ihre Lektion, war es hart. Mit ALG II war es unerträglich.

Zwanzig Jahre hatte sich das Künstlerpaar, das sich ein Atelier in Moabit teilt, über Wasser halten können. Ihre Namen wollen sie nicht nennen. Man ist in dieser Gesellschaft als Leistungsempfänger stigmatisiert, auch wenn man einer von Millionen ist. Als Künstler gilt man erst recht als gescheitert. Dabei haben die früheren Meisterschüler etliche Auszeichnungen gesammelt. Mit Anfang 40 erging es ihnen wie vielen Kollegen: Das Interesse der Galeristen schwand. Anfang 2005 wussten sie sich nicht anders zu helfen, als ALG II zu beantragen.

Wenn die beiden in einem Café nebeneinander sitzen und von sturen Sachbearbeitern erzählen, von unsinnigen Briefen und vergeblich auf Amtsfluren verbrachten Stunden, kommen sie immer wieder an den Punkt, an dem sie zusammensinken und ihr Blick ins Leere geht. Sie haben schon zu viel erklären müssen.

Zwei Drittel der Berliner bildenden Künstler leben unter dem Mindesteinkommen. Das ergab eine Umfrage des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlin (BBK). In den letzten zwei Jahren hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Seit Hartz IV fast alle Geringverdienenden zu Arbeitssuchenden gemacht hat, müssen Künstler um ihre berufliche Existenz fürchten. „Die Situation“, sagt Bernhard Kotowski, Geschäftsführer des BBK, „ist bedrohlich.“ Früher konnten die Sozialämter individuelle Zuschüsse für Ateliermiete oder Materialkosten bewilligen. Heute werden Künstler gezwungen, berufsfremde 1-Euro-Jobs anzunehmen oder Bewerbungen zu schreiben für Arbeitsplätze, die es nicht gibt. „Sie machen Kunst?“, fragte eine Dame von der Leistungsstelle ihre Klientin, „dann bezahlen wir Ihnen also Ihre Farbe?“

Immerhin hatten die Sachbearbeiter dieser Künstlerin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, die Zahlung ihrer Wohnungsmiete bewilligt, die über dem Höchstsatz von 380 Euro lag – der schnellste Weg, um die Künstlerin wieder in die Unabhängigkeit zu bringen. Sie nutzte einen Raum als Atelier und kann nun wieder von Bildverkäufen leben. Doch die Leistungsstelle roch Lunte und forderte im Nachhinein Mietanteile zurück, mit der Begründung: „Wir bezahlen keine Arbeitsräume.“

„Hartz IV zwingt Künstler, ihren Beruf aufzugeben“, konstatiert Rechtsanwalt Klaus Blancke. Er berät Mitglieder des BBK in Rechtsfragen. „Die Reformen sind für Arbeitslose gemacht, nicht für Selbstständige und Künstler“, sagt er. Während sich künstlerische Arbeit meist in langen Zyklen von Produktion und Vermarktung organisiert, rechnen ALG-II-Richtlinien in Monaten. Alle Einkünfte werden von den 345 Euro Unterstützung abgezogen, ein Betrag, der mit 1,65 Euro pro Mittagessen rechnet und einem Medizingeld, das gerade für Erkältungsmittel und Schmerztabletten reicht. Ein Künstler, der es dennoch geschafft hat, sich über Monate auf eine Ausstellung vorzubereiten und 5000 Euro auf einmal verdient, fällt sofort aus der Förderung heraus. Er hat ja nun, so die Gesetzeslogik, ein Vermögen, von dem er leben kann. „Am besten“, so die Moabiter Künstler, „verdient man gar nichts.“

Dass Künstler nicht automatisch Arbeitslose sind, können viele Sachbearbeiter nicht verstehen. Das Moabiter Künstlerpaar legte Gutachten vom BBK und der Akademie der Künste vor, die den Wert ihrer Arbeit bestätigten. Es half nichts. Sie wurde mit einer „Eingliederungsvereinbarung“ gezwungen, ihre Bemühungen um eine Stellung nachzuweisen. Ein halbes Jahr lang schrieb sie Bewerbungen – ohne eine Antwort zu bekommen. Der Konflikt entbrannte aber um die Existenzgrundlage jedes Malers – das Atelier.

Ingrid Wagener, Geschäftsführerin des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg, betreute den Fall. Sie legt Wert darauf, dass das Versagen von Leistungen nichts damit zu tun hat, „dass wir Zweifel an der künstlerischen Kompetenz der Personen hatten“. Nur: „Vom Gesetzgeber ist die Übernahme der Ateliermiete nicht vorgesehen.“ Und nicht nur das: Es drohten gelagerte Werke im Wert von mehreren Hunderttausend Euro auf der Straße zu landen. Gut, hieß es im Jobcenter, dann habt ihr ja Vermögen. Verkauft eure Bilder und zahlt uns die geleisteten Zuwendung zurück. Insgesamt 5000 Euro.

Die Künstler klagten. Klaus Blancke führte sie durch zwei Instanzen, bis der Fall vor dem Bundessozialgericht landete. Die Rechtslage und die herrschende Praxis, so die Argumentation Blanckes, führten zum Gegenteil dessen, was die Reformen erreichen sollten, nämlich Arbeitslose in Arbeit zu führen. Durch die Nichtbewilligung der Ateliermiete oder den Zwang, 1-Euro-Jobs anzunehmen, würden Künstler daran gehindert, ihren Beruf auszuüben. Das Gericht befand, dass das Gesetz die Übernahme der Ateliermiete nicht ausschließt und verwies den Fall zurück ans Landessozialgericht.

Ein Luxusproblem? Am Beispiel der Kunstschaffenden treten die Grausamkeiten eines Förderungssystems besonders klar zutage, das auf eine Angestelltenkultur abzielt. Denn im Bewiligungsdschungel der Arbeitsmarktreform gerät die Existenzgrundlage von Freiberuflern aus dem Blick. Einkommensschwache Architekten und Anwälte haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, auch wenn der Wert ihrer Arbeit leichter zu berechnen ist.

Durststrecken gibt es in jeder Künstlerkarriere. Das Kasseler Urteil könnte nun weitreichende Folgen nach sich ziehen. Dr. Thomas Voelzke, Richter am Bundessozialgericht, bilanziert: „Man wird bei Selbstständigen genau prüfen müssen, ob zusätzliche Förderungen möglich sind.“

Das Künstlerpaar hat diesen Kampf für andere geführt. Es lebt ohne ALG II. „Das ist eine Riesenerleichterung.“ Allerdings: ohne Unterstützung aus dem Umfeld ginge es nicht. Zukunftssorgen? „Man malt eben kleinformatiger“, sagt sie. „Die Farbe wird dünner“, sagt er. Dann lachen beide. Was bleibt ihnen übrig?

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