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Kultur: Die Farben der Freiheit

Literaturfest Berlin: 9/11 und die arabische Welt

Kann man als Politiker ein guter Schriftsteller sein? In Europa findet man Doppelbegabungen allenfalls in Prag oder Paris, aber nicht im arabischen Raum. Dass Mohammed Achaari, Träger des arabischen Booker Prize, einst marokkanischer Kulturminister war, bezeichnet er selbst als „Betriebsunfall“: Ein Schriftsteller habe Abstand zur Macht zu halten. Der Grund liegt auf der Hand: Viele Autoren im arabischen Raum, die sich nicht daran hielten, haben einen hohen Preis dafür bezahlt, sagt sein irakischer Kollege Fadhil Al-Azzawi, der selbst drei Jahre im Gefängnis saß. So wurde eine Veranstaltung, die den Entwicklungen der arabischen Literatur gewidmet war, zu einer Vermessung politischen Muts.

Manches von dem, was wir in den arabischen Ländern heute erleben, so Al-Azzawi, sei literarisch bereits vorweggenommen worden. „In den siebziger und achtziger Jahren wurde sogar mutiger geschrieben als heute“, erklärte Achaari. In Frankreich etwa würde ästhetischer Mut entstellt, indem man von maghrebinischen Autoren sexuelle Folklore erwarte: „Eine Heuchelei, denn diese Art von Mut wird französischen Autoren nicht abverlangt.“ Der in Berlin lebende Al Azzawi stellte die entscheidende Frage: Wie können arabische Gesellschaften modernisiert werden und dennoch ihre Traditionen wahren? Gerade weil die alten Kulturzentren Tunis, Bagdad und Kairo ihre Anziehungskraft verloren haben und das Gefälle vom Zentrum zur Peripherie abnimmt, hat die arabische Literatur Anschluss an die Welt gefunden. Würden arabische Politiker mehr lesen, so Achaari, hätten sie entdecken können, was auf sie zukommt. Das dürfte auch auf ihre westlichen Kollegen zutreffen. Ulrike Baureithel

Mehr als drei Schriftsteller gleichzeitig, so lautet eine Regel des Literaturfestivals, gehören nicht auf die Bühne. Bei der Gedenkveranstaltung zu 9/11, die ein Wort von Camus als Motto gewählt hatte, demzufolge Freiheit nichts als die Gelegenheit ist, der schlechten Gewissheit der Versklavung etwas Besseres entgegenzusetzen, waren auf einmal zwölf Autoren aus aller Welt dabei. Moderatorin Priya Basil, selbst Romanautorin, hatte als Nummer 13 zu einem „literarischen Konzert“ geladen, das vom am Ground Zero spielenden Romanauszug (C.K. Stead, Neuseeland) über die Kabul-Reportage (Asne Seierstad, Norwegen) bis zur Erkundung des Wortfelds Sicherheit (Ulrike Draesner, Berlin) und des Essays (Adam Haslett, USA) die unterschiedlichsten Töne sammelte. Am einen Pol der aus Algerien stammende muslimische Franzose Azouz Begag. Frei improvisierend, gestikulierend und „La Vie en Rose“ singend, verlieh er dem Schrecken Ausdruck, mit dem er noch morgens am Kurfürstendamm eine antiislamische Demonstration verfolgt hatte. Am anderen Pol die begriffsscharfe Reflexion des aus Vietnam stammenden Australiers Nam Le.

Mit einem Plädoyer für die Kunst des antinomischen, also unvereinbare Gegensätze vereinenden Denkens, entfaltete er eine literarische Uridee: die Fähigkeit, erzählend Verständnis für Figuren zu wecken, deren Haltung sich eigentlich ausschließt. Gregor Dotzauer

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