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Kultur: Die feinen Unterschiede „Nachhinein“, Lisa Kränzlers Roman über zwei Mädchen aus unterschiedlichen sozialen Milieus

Das Grundprinzip von Lisa Kränzlers neuem Roman, ihrem zweiten, ist das Aufeinanderprallen harter Dichotomien. Zwei Mädchen, die in einer Straße leben, in Häusern, die sich gegenüberstehen.

Das Grundprinzip von Lisa Kränzlers neuem Roman, ihrem zweiten, ist das Aufeinanderprallen harter Dichotomien. Zwei Mädchen, die in einer Straße leben, in Häusern, die sich gegenüberstehen. Freundinnen zunächst, Blutsschwestern sogar, bis die Unmöglichkeit sie einholt. Aus reichem, großbürgerlichem Milieu die eine, aus prekären Verhältnissen die andere. Klavier und Gymnasiumsempfehlung gegen Super Nintendo und Sitzenbleiben. Beethoven und Musikschule gegen Verwahrlosung und Missbrauch durch Bruder und Vater.

Die eine träumt sich, als Fluchtfantasie, in das Szenario von „Street Fighter“ und dessen Figuren; die andere entdeckt im Bücherschrank des Vaters eine Glenn-Gould-Biografie und entwickelt aus der Lektüre ein neues Selbstbewusstsein: „Vielleicht geht es ihm wie mir, mutmaße ich, und er würde am liebsten in die Tasten hineinkriechen ...“. Und später: „Mein Bücherfund hat Konsequenzen. Beim Abendessen verkünde ich meinen Eltern, dass ich eine Teilnahme am Jugend-musiziert- Wettbewerb nicht länger ausschließe.“

„LottaLuisaLuzia“ heißt die eine der beiden, „JasmineJustineCeline“ die andere. Die tatsächlichen Namen sind der Autorin gleichgültig; ihr genügen Vornamen als Chiffre. Und das funktioniert ja auch sofort. Eine Kinderfreundschaft, die von Beginn an dominiert ist von einem Ringen um Dominanz und Anerkennung. Das ist an und für sich sehr kindlich, doch nicht umsonst heißt der Roman „Nachhinein“ – der Reflexionsapparat gehört nicht zu einem infantilen Bewusstsein; er ist vielmehr in seinem Blick gerichtet auf den Zusammenhang von Macht, Sexualität und Sprache. Jeder Satz ist zeichenhaft determiniert; eine ausgeprägte, geradezu dröhnende Sexualmetaphorik liegt über einem an sich wenig spektakulären Geschehen, das sich über mehrere Jahre hinzieht und erst gegen Ende eine dramatische Zuspitzung bekommt.

Für einen Auszug aus „Nachhinein“ wurde Lisa Kränzler, die 1983 in Freiburg geboren wurde, bei den Klagenfurter Tagen der deutschsprachigen Literatur im vergangenen Jahr mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet; ihre raunende, mit Bedeutung aufgeladene Lesung polarisierte die Zuhörerschaft seinerzeit.

Und Lisa Kränzler ist auch, dafür kann sie nichts, ein Phänomen des gegenwärtigen Literaturbetriebs. 2012 erst erschien ihr Debüt „Export A“, ein Roman über eine 16-jährige deutsche Austauschschülerin in Kanada, und „Nachhinein“ ist dann gleich auch nominiert worden für den Preis der Leipziger Buchmesse, den dankenswerterweise David Wagner für sein Lebertransplantationsbuch „Leben“ erhielt. Eine nicht geringe Anzahl seriöser und tatsächlich sehr ernst zu nehmender Verteidiger von Lisa Kränzlers Prosa haben sich inzwischen daran versucht, genau das als ästhetischen Kniff von „Nachhinein“ zu postulieren, was das offensichtliche Problem dieses Romans ist: seine Sprache. Die Argumentation geht so: Die Erzählerin benutzt ihren hochgestochenen, bildreichen, neoexpressionistischen und ausufernden Duktus als Macht- und Distinktionsinstrument gegenüber ihrer sozial unterlegenen Freund-Feindin.

Der auf den ersten Blick verquaste Tonfall wird so in zweiter Ordnung zu einem Vehikel erklärt, das gesellschaftliche Unterschiede aus der Psyche ihrer Akteure selbst heraus sichtbar und erkennbar machen will. Ein sozialkritischer Roman also nicht nur auf der Ebene der Handlung, sondern vor allem in den unterschiedlichen Bewusstseinsebenen. Das mag so gedacht sein, und dann ist es auch nicht schlecht angedacht.

Allein ändert es aber auf der rein praktischen Textebene, auf der Benutzeroberfläche sozusagen, nichts daran, dass man das Geraune und verbale Potenzgehabe ja schließlich trotzdem lesen und ertragen muss. Das aber hat nichts mit einer kalkulierten Zumutung zu tun. Anders gesagt: Wenn man ein so ungeheures Vertrauen in die Kraft der eigenen Formulierungskunst setzt, dann darf nicht so vieles nicht stimmen wie in „Nachhinein“. Nur ein Beispiel: Da ist JasmineJustineCeline, die zum ersten Mal ihre Monatsblutung bekommt. „Zwischen deine Füße platschen hellrote Tropfen. Als hätte dein Körper die fruchtige Vortagshitze in kleine, innerliche Wölkchen verwandelt, regnet es auf die Keramik.“ Da kommt die Mutter von LottaLuisaLuzia ins Zimmer und stoppt die Blutung mithilfe einer Binde. Nun heißt es: „Die Fliesenblumen warten indes vergebens – es hat sich ausgetropft. Angeekelt und fasziniert zugleich stelle ich mir vor, wie du die daumendicke, butterweiße Schicht mit Marmeladenröte besudelst.“

Ganz davon abgesehen, dass Butter nicht weiß ist und dass hier auf engem Raum gleich mehrere nicht sonderlich originelle metaphorische Felder durcheinandergeworfen werden, ganz davon abgesehen also: Wer nicht der Meinung ist, dass das kein böser Kitsch ist, der zitronengleich zum Verziehen des Gesichts nötigt, braucht dafür wirklich exzentrische Argumente.

Man darf nicht ungerecht werden: Lisa Kränzler ist sicher eine Schriftstellerin mit einem ästhetischen Plan. In „Nachhinein“ ist dieser Plan aber nur bedingt aufgegangen. Christoph Schröder

Lisa Kränzler:

Nachhinein. Roman. Verbrecher Verlag,

Berlin 2013,

270 Seiten, 22 €.

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