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Star der jungen finnischen Literatur: Sofi Oksanen.

© Toni Härkönen, Pekka Mustonen, Bonnier

Die Finnen und ihre Literatur: Hauptsache sonderlich

Finnland, da denken alle gern an melancholische Trinker und an Kaurismäki. Im Herbst ist Finnland Gastland der Buchmesse - eine gute Gelegenheit, um zu sehen, wovon finnische Literatur sonst noch so handelt.

Petri Tamminen hat es einmal in einem kleinen Essay über den Rausch schön auf den Punkt gebracht: „Wenn ein deutscher Leser zu einem finnischen Roman greift, unterliegt er voraussichtlich zwei typischen Fehleinschätzungen. Er hält die Dialoge des Buchs für feindselig und seine Figuren für Alkoholiker.“ Im Folgenden gibt der Schriftsteller Tamminen den deutschen Lesern dann druchaus recht; bezüglich der Dialoge spricht er von „mangelnder Höflichkeit“. Und davon, dass „die hiesigen Trinksitten an Alkoholismus“ erinnern würden. Und trotzdem: „Aus finnischer Sicht stellt der finnische Roman einfach ganz normale Finnen dar.“

Was Tamminen, der sich als „finnischen Abstinenzler“ und damit auch als „Sonderling“ bezeichnet, in dessen Romanen nichtsdestotrotz viel gezecht wird, was dieser Petri Tamminen unterschlagen hat: Wenn deutsche Leser finnische Bücher in die Hand nehmen, dann erwarten sie, dass diese irgendwie skurril, abseitig oder lustig sind, irgendwo zwischen der Filmsprache eines Aki Kaurismäki und den Sounds von 22 Pistepirkko angesiedelt. Oder dass sie zumindest einen Krimi präsentiert bekommen. Und wenn finnische Autoren irgendwo auftreten, sollen die sich doch bitte schön so benehmen wie die Figuren aus eben Kaurismäkis Filmen oder 22 Pistepirkkos Songs – und natürlich viel trinken.

Eine jüngere finnische Autorengeneration befasst sich mit dem Zweiten Weltkrieg

Dass die Realität eine andere ist, davon kann man sich in den nächsten Monaten überzeugen. Finnland ist dieses Jahr bei der Frankfurter Buchmesse das Gastland. Das bedeutet, dass finnische Literatur verstärkt ins Deutsche übersetzt wird – und auch die hiesige Literaturkritik verstärkt Finnland besucht, um finnische Autoren und Autorinnen kennenzulernen. So weiß man inzwischen zum Beispiel, dass es gerade eine jüngere Generation insbesondere finnischer Schriftstellerinnen gibt, die sich in ihren Büchern mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Kollaboration der Finnen zuerst mit den Deutschen und schließlich den Russen auseinandersetzt (was alles andere als skurril oder lustig ist). Man weiß auch, dass die finnische Literatur zunehmend globalisiert und urban wird – und es trotzdem oder gerade deshalb der Mensch an sich ist, der im Mittelpunkt der Geschichten steht; was diesen ausmacht, wie er sich mit seiner Herkunft herumschlägt und was für Anforderungen gerade die Globalisierung an ihn stellt.

Und schließlich konnte sich unsereins vor kurzem erst bei einer Schiffsreise von Travemünde nach Helsinki einen Eindruck vom durchaus unterschiedlichen Wesen finnischer Autoren verschaffen. Thomas Kyrö, Rosa Liksom und Risto Isomäki waren mit an Bord, und keiner von den dreien zeigte sich feindselig oder sprach in übertriebenem Maß dem Alkohol zu. Während Rosa Liksom eine schon spezielle, extravagante Schriftstellerin und Künstlerin ist (Tagessspiegel vom 10. 11. 2013), sind Kyrö und Isomäki eher zurückhaltender, unauffälliger Natur. Der eine ausgestattet mit einem sehr hintergründigem Humor, wie auch sein einziger bislang ins Deutsche übersetzter Roman „Bettler und Hase“ demonstriert; der andere, Isomäki, nicht nur Wissenschaftler und Ökothriller-Autor, sondern überzeugter Umweltaktivist, der zum Beispiel aus Prinzip in kein Flugzeug steigt (und der auch nach Travemünde mit dem Schiff gekommen war).

Differenzen hin, Stereotypen her - was dann aber im Verlauf der Reise auffiel: Finnische Autoren und Autorinnen sind allesamt sportbegeistert. Mit Thomas Kyrö konnte man auf der Fähre nicht nur die Chancen der deutschen Vereine im Champions-League-Wettbewerb diskutieren, sondern sich auch konzentriert die Bundesligapartie Nürnberg gegen Freiburg anschauen. Die Thriller-Autorin Leena Lehtolainen verriet bei einem Gespräch in Helsinki, dass sie auch Eisschnell- und Eiskunstlaufkommentatorin sei.

Und Kjell Westö, der einen fußballspielenden Sohn hat (war mal auf dem Sprung in die Bundesligaelf von Werder Bremen), konnte erst spät in der Nacht zu einem Interview kommen – vorher musste er in Espoo einem Hockeyspiel seines Bruders beiwohnen. Soll bloß keiner sagen, „die Finnen“ hätten keine Alternative zum Alkohol!

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