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Laura Poitras, Regisseurin von "Citizenfour". Ihr Dokumentarfilm über Edward Snowden wurde 2015 mit dem Oscar ausgezeichnet. Eins der Frauenporträts von Annie Leibovitz (Ausschnitt)

© Annie Leibovitz from "Women: New Portraits"

Die Fotografin Annie Leibovitz: Momente der Macht

Annie Leibovitz hat bemerkenswerte Frauen auf der ganzen Welt porträtiert. Nun präsentiert die legendäre Fotografin ihre neue Serie im Frankfurter Kunstverein Familie Montez.

Um ihre drei widerspenstigen Töchter zu fotografieren, muss Annie Leibovitz mit ihnen einen Termin vereinbaren. Denn Fotografieren, das haben sie mitbekommen, ist Arbeit. „Hör auf!“, rufen sie oft, „du bist im Urlaub.“ Und Annie Leibovitz, 67 Jahre alt, geschätzt als eine der größten Fotografinnen unserer Zeit, zieht sich den Schuh an: Sie glaubt dann, sich zwischen Leben und Fotografieren entscheiden zu müssen. Entweder – oder. Als müsse man trennen. Ja schlimmer noch: Als würde das eine das andere verhindern.

Die Haare noch immer Samson-artig wild wachsend, als käme aus ihnen ihre Kraft, steht Annie Leibovitz vor einer Wand neuer Fotografien, die sie von bemerkenswerten Frauen rund um den Erdball gemacht hat. Immer öfter, gesteht sie, gelinge es ihr – unter größter innerer Anstrengung, denn es gilt, einer ausgewachsenen Obsession zu widerstehen – ein Bild des Moments allein in ihrem Kopf zu bewahren und das Foto ziehen zu lassen. Tja, so sei das, wenn man älter werde. Das Ausmaß ihrer Obsession habe sie erst bemerkt, als sie Teile davon aufgegeben hat.

Annie Leibovitz ist nach Frankfurt gekommen, um ihre Ausstellung „Women: New Portraits“, zu eröffnen, die für wenige Wochen im Kunstverein Familie Montez zu sehen sein wird. Leibovitz’ Inszenierungen sind für gewöhnlich aufwendig, ihre Objekte illuster, der Zugang zu den Mächtigen frei, die Bilder hängen in den größten Museen. Sie hat Demi Morre schwanger und fast nackt fotografiert, sie hat Arnold Schwarzenegger überhöht, sie hat im Angesicht der englischen Queen und vieler Präsidenten der USA auf den Auslöser gedrückt. Und wenn Donald Trump wirklich Präsident werden würde – „Er war immer gutes Material für lächerliche Bilder“ –, dann würde sie ganz professionell auch da hindurch gehen.

Die Frauenporträts hat Leibovitz einfach an die Wand gepinnt

Ihre jetzigen Porträts aber, realisiert mit Mitteln der Schweizer Bank UBS, die auch die Art Basel im großen Maßstab unterstützt, sind mit enormem Understatement bescheiden an die Wand gepinnt. Laut Leibovitz, um zu zeigen, dass dies „work in progress“ sei. Und da Frankfurt nach London, Tokio, Schanghai und weiteren die achte von zehn Stationen dieser Ausstellung ist, sind die Abzüge schon regelrecht durchlöchert. Ist das dieselbe Annie Leibovitz, die früher 300 großformatige Probeabzüge bestellte, bloß um die beste Version eines Porträts von Roseanne Barr zu finden? Die Perfektionistin, in deren Leibovitz-Signature-Linse jahrelang vor allem amerikanische Berühmtheiten blickten, in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe noch heldenhafter zu wirken? Die Fotografin, die Privatjets orderte wie andere Leute Taxen und die lange dafür bekannt war, dass sie so etwas Nebensächliches wie Mietwagen am Foto-Set einfach stehen ließ?

Eine Art Sequel: 1999 publizierte Leibovitz mit Susan Sontag den Band "Women"

2009 geriet sie in eine sagenhafte finanzielle Krise, deren Ausmaß ihrer Berühmtheit in nichts nachstand und in deren Verlauf sie drauf und dran war, neben diversen Immobilien in New York alle Rechte an ihrem eigenen Werk zu verlieren. Doch am Ende war sie: too big to fail. Nachdem Leibovitz zuletzt im Auftrag für die UBS Werbung fotografiert hatte, wollte die Bank deren eigene Arbeit als Künstlerin fördern. 1999 hatte Annie Leibovitz zusammen mit Susan Sontag den Band „Women“ veröffentlicht. Seitdem hat sich die Welt rasant verändert. Annie Leibovitz wollte nun gerne aktuelle Porträts zum Thema machen. Nach der Ausstellung werden außerdem einige Werke in die Kunstsammlung der Bank übernommen.

Die Fotografin Annie Leibovitz, 67, fotografierte in den Siebzigern u.a. für den "Rolling Stone" und "Vanity Fair". Sie zählt zu den weltweit bekanntesten und bestbezahlten Fotograf/innen, ihr Markenzeichen sind ihre Porträts.
Die Fotografin Annie Leibovitz, 67, fotografierte in den Siebzigern u.a. für den "Rolling Stone" und "Vanity Fair". Sie zählt zu den weltweit bekanntesten und bestbezahlten Fotograf/innen, ihr Markenzeichen sind ihre Porträts.

© dpa

Wie haben sich also die Frauen verändert, seit damals? Annie Leibovitz traut sich da keine Einschätzung zu. Damals für „Women“ habe Susan Sontag, ihre ungleiche Partnerin, das Denken übernommen. Für die aktuelle Neuauflage habe das Gott sei Dank die legendäre amerikanische Feministin Gloria Steinem getan. „Ich hänge davon ab, wie die Frauen sich selbst präsentieren“, erklärt Leibovitz. Vor ihrer Kamera nämlich. Dort bildet sie sich ihr Urteil und dort hat sie ein großes Selbstbewusstsein bemerkt, das es in den Neunzigern noch nicht gegeben habe.

Der Ursprungsband „Women“ zeigte damals Soldatinnen, Astronautinnen und gewöhnliche Lehrerinnen ebenso wie die junge Hillary Clinton. Es ging um die Breite des Spektrums, die Vielfalt unter den Frauen, ihre Arten zu sein. Die Bilder von den „New Women“ in Frankfurt sind anders – und oft beinahe konventionell fotografiert. Leibovitz nimmt sich mit eigenen Inszenierungen sehr zurück. „Man kann ja nicht immer Whoopi Goldberg in eine Milchwanne setzen.“ Zu sehen sind Frauen, die auf die eine oder andere Art „verdient“ haben, dokumentiert zu werden, denn sie haben etwas erreicht: Malala Yousafzai, Friedensnobelpreis 2014, Gloria Steinem, die amerikanische Feministin, die Filmemacherin Laura Poitras, die für ihren Dokumentarfilm „Citizenfour“ mit Edward Snowden zusammengearbeitet hat. Da hängen Lena Dunham, Alice Waters, die die amerikanische Ernährung revolutionierte, Jane Goodall, die Schimpansenforscherin. Sheryl- „Lean in“-Sandberg. Darunter viele Frauen, die nicht einfach Erfolg haben, sondern auch die Sache der Frauen vorangetrieben haben. Das wirkt ungewöhnlich absichtsvoll.

"Frauen sind nicht präsent genug in der Kunst", sagt Leibovitz

Die Bilder sind intensiv und konzentriert. Aber – aus lauter Respekt vielleicht – viel weniger spektakulär, als man es von Leibovitz gewohnt ist. Vielleicht weil die fotografierten Frauen viel mehr durch ihre Themen charakterisiert sind als durch die Art, wie sie sich inszenieren. Leibovitz hat sie in ihrer gewohnten Umgebung fotografiert, in ihren Arbeitszimmern und auf ihren Chefsesseln. Ist das eine Art Bescheidenheit den Leistungen der Frauen gegenüber? Die frühen Fotos haben die Frauen überhöht, sie fotografisch auf einen Podest gestellt und gefeiert. Es waren im Kern Behauptungen. Die Frauen, die für diese neuen Porträts ausgewählt wurden, stehen schon auf einem Podest, und Leibovitz zollt ihnen Respekt. Es sind im Kern Bestätigungen.

Frauen zeigen, die etwas erreicht haben, diese Absicht überstülpt die Bilder. Für die UBS ist die Sache mit den Frauen ein Aspekt des Top-Management-Themas „Diversity“, und eine solche Kunst zu fördern, passt ins Portfolio. Für Leibovitz war es eigentlich immer eine Selbstverständlichkeit im Leben. Die Frauen, die Leibovitz in ihrer stolzen Selbstverständlichkeit porträtierte, haben diesen Zweck niemals gebraucht. „Frauen“, sagt sie nun, „sind nicht präsent genug in der Kunst.“

Frauen mit Erfolg? Annie Leibovitz findet den Begriff nicht ganz passend

Ein paar Minuten sind versprochen für ein persönliches Gespräch. Annie Leibovitz sinkt auf ein Sofa vor einer Reihe Kataloge, die noch zu signieren sind. Ein Glück, dass sie mit Gloria Steinem zusammen recherchieren konnte. Mit ihr, die sie eigentlich nur für ein Porträt habe gewinnen wollen, habe sie am Ende die Listen ausgearbeitet von Frauen, die weltweit für dieses Projekt interessant wären. Sie alle haben ja auf eine Art Erfolg. „ Vielleicht ist Erfolg das falsche Wort“, sagt Leibovitz. „Es ist eher so etwas wie eine Wirkung in die Gesellschaft hinein.“ Dann ist der Journalist von der FAZ dran. Er möchte sie überreden, für sein Fotoprojekt zu posieren. Eine Sammlung von Prominenten, die eine Schlafbrille aufhaben. Annie Leibovitz lehnt höflich ab.

Man kann es Annie Leibovitz wohl nicht vorwerfen, wenn ihre Bilder heute angepasster aussehen. Dies sind halt nicht die Siebziger, in denen sie für den „Rolling Stone“ fotografierte und mit Musikern auf Tour ging. Es sind auch nicht die Achtziger, in denen sie für die glamouröse „Vanity Fair“ und die „Vogue“ arbeitete. Bilder der Gegenwart müssen anders aussehen. „Ich bin jetzt 67“, sagt Leibovitz. „Ich gewöhne mich an die Tatsache, dass ich eigentlich eine Zeit festhalte.“ Nicht einzelne Personen sind offenbar das Thema. Sondern die Gegenwart – in Form der Summe ihrer Personen. Und der Summe ihrer Bilder.

„Women: New Portraits“, Kunstverein Familie Montez, Honsellstr. 7, Frankfurt am Main, bis 6. 11. Infos: www.kvfm.de

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