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Kultur: Die Frau fürs große Ganze

Maria Nicanor hatte die Idee zum Denklabor. Sie macht das Programm für Berlin und hofft auf bleibende Effekte.

Ein paar Tage lang schien sie Berlins Feindbild Nummer Eins zu sein. Denn Maria Nicanor hat sich das BMW Guggenheim-Lab ausgedacht. Die Diskussionsplattform wurde in Berlin mit allen Übeln urbaner Entwicklung gleichgesetzt, als sie sich auf einer heiß umkämpften Spreebrache niederlassen wollte: mit Gentrifizierung, Globalisierung, Kommerzialisierung. Fast drohte die zweite Station der auf sechs Jahre angelegten Tournee des Lab zu platzen, hätte sich nicht der Pfefferberg als Ausweichquartier angeboten.

Natürlich trug das Lab damals noch nicht seinen verdächtigen Namen, als die New Yorker Nachwuchskuratorin die Idee dazu hatte. „Das Guggenheim Museum ist bekannt dafür, dass es seine Marke an unterschiedliche Orte der Welt exportiert, dass es Architekturikonen baut. Ich wollte ein anderes Ausstellungsmodell“, erzählt sie im Aedes Café am Pfefferberg. Das temporäre Lab-Gebäude – eigentlich nur ein Membrandach auf ein paar Stahlstützen – ist fast fertig. Am Programm wird noch gefeilt. Einige Projekte fallen weg. weil sich das Lab nun in anderer Umgebung befindet.

Schon in New York wurde angezweifelt, ob sich die Einrichtung ernsthaft mit Stadtentwicklungsthemen auseinandersetzen will. Proteste aber gab es kaum. In Berlin ist die Skepsis größer. Dass es in Kreuzberg so heftige Reaktionen gab, hat Nicanor überrascht: „Niemand braucht einen Bilbao-Effekt zu befürchten, nur weil wir zehn Wochen hier sind. Dazu ist das Lab gar nicht in der Lage.“ Die Kuratorin wäre gerne in Kreuzberg geblieben. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, auch wenn es Interessengruppen gab, wie das YAAM, die sich schon auf ein ein lustiges Revival ihrer Aktivitäten auf der Brache an der Cuvrystraße, ihrem ehemaligen Standort, gefreut hatten.

Eigentlich passt Berlin gar nicht in das Raster des BMW Guggenheim-Labs, das sich temporär in neun zukunftsträchtigen „Megacities“ niederlassen will, um urbane Trends zu diskutieren. Die Stadt stellt im Vergleich zu Tokio oder Mumbai gar keine Megacity dar. Auch gibt es hier schon genug Diskussionsorte. „Durch die Geschichte Berlins ist die urbane Entwicklung einzigartig“, so Nicanor. Industriebrachen, ungenutzte Gebäude, Wiederbelebung, umgebaute Fabriken – das gäbe es in dieser Fülle nur hier. Deshalb habe man sich für Berlin entschieden.

Die Kuratorin arbeitet seit sieben Jahren am Guggenheim Museum in New York. Ihre Ausstellung über den ArchitektenFrank Lloyd Wright wurde vom amerikanischen Kunstkritikerverband ausgezeichnet, für Bilbao hat sie eine Show über Cy Twombly organisiert, eine andere über spanische Malerei. Die 32-Jährige hat Kunstgeschichte an der Autonoma Universität in Madrid und an der Sorbonne in Paris studiert, in New York promovierte sie. Während ihres Studiums war sie oft zu Gast in Berlin. Als sie im Herbst 2011 mit ihrem vierköpfigen Berlin-Lab-Team in der Stadt recherchierte, kam Lutz Henke dazu, dessen Projektraum „artitude“ direkt an der Kreuzberger Cuvrystraße liegt. Er wurde ihre zweite Hand, half mit Kontakten und Berlin-Infos. Auf Basis von Gesprächen mit Politikern, Anwohnern und Interessengruppen ergaben sich schließlich die Themen des Labs.

Die Berliner Künstlern Corinne Rose beschäftigt sich etwa mit der umstrittenen Politik des Liegenschaftsfonds, der landeseigene Immobilien an Maximalbieter verkauft. Gruppen wie Open Berlin, eine Internetplattform zur Bürgerbeteiligung und Projektentwicklung,und die Initiative „Stadt Neu Denken“ kooperieren mit Rose. Sie stellen eine Website ins Netz, auf der zu sehen ist, welche Liegenschaften gerade zum Verkauf stehen. Lab-Mitglied José Gómez-Márquez vom Bostoner MIT wiederum hat bei seinen Stadterkundungen festgestellt, dass die Spree in Berlin kaum genutzt wird, obwohl viele gern schwimmen gehen würden. Er hat ein Selbstbauset zur Analyse der Wasserqualität entwickelt. Der Fahrrad-Workshop für Migrantinnen entfällt nun, weil am Prenzlauer Berg kaum welche leben. An einem Tag wird das Podium älteren Menschen gehören, es soll eine mobile Universität geben und jeden Tag ein kostenloses Fitnessprogramm.

Das BMW Guggenheim-Lab versteht sich als Experiment mit offenem Ausgang, was eher erstaunlich ist für die beiden ansonsten in ihren Formaten extrem reglementierten Partner Guggenheim Museum und BMW. Wie ergebnisoffen das Projekt tatsächlich ist, erwies sich zuletzt bei einer Diskussion in der American Academy, wo es eigentlich darum gehen sollte, wie urbane Interventionen und Architektur soziales Engagement fördern können. Maria Nicanor sitzt mit weißer Bluse und um die Schultern geschlungenem Pullover auf dem Podium. Ihr Blick ist auf einen Punkt am Boden gerichtet. Konzentriert beantwortet sie Fragen nach dem Wie und Warum. Sie sagt oft „Programm“, „Projekt“ oder „Nachbarschaft“, weil die Details entweder nicht feststehen oder viel zu kleinteilig wären.

„Es wäre schön, wenn die Projekte, die wir mit den Initiativen anstoßen, weiterlaufen, wenn das Lab weg ist. So sind sie zumindest angelegt“, sagt Nicanor. Trotzdem macht sie sich keine Illusionen. Das Lab wird nicht die Welt verändern.

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