zum Hauptinhalt

Kultur: Die Frau im Mittelpunkt

Die rechtgläubige Presse der "Bruderstaaten" schäumte: Statt sich, wie die spießbürgerlichen Kommunisten das wünschten, um das Schöne, Wahre, Gute und vor allem den von der Partei gewiesenen Weg ins Paradies zu sorgen, hatten die tschechoslowakischen Regisseure seit Jahren die Wirklichkeit einfach so gesehen, wie sie war.Hatten sich um Authentizität und neue Filmformen bemüht, an die örtliche Tradition des Grotesken und Surrealen angeknüpft und auch festgestellt, daß die Menschen eigentlich überall und in jedem System gleich sind - und zwar meist gleich unvollkommen, triebhaft und schlecht.

Die rechtgläubige Presse der "Bruderstaaten" schäumte: Statt sich, wie die spießbürgerlichen Kommunisten das wünschten, um das Schöne, Wahre, Gute und vor allem den von der Partei gewiesenen Weg ins Paradies zu sorgen, hatten die tschechoslowakischen Regisseure seit Jahren die Wirklichkeit einfach so gesehen, wie sie war.Hatten sich um Authentizität und neue Filmformen bemüht, an die örtliche Tradition des Grotesken und Surrealen angeknüpft und auch festgestellt, daß die Menschen eigentlich überall und in jedem System gleich sind - und zwar meist gleich unvollkommen, triebhaft und schlecht."Der destruktive Zynismus feiert Orgien", befand die Ost-Berliner "Nationalzeitung" im Angesicht dessen 1968 - als sich die Panzer des Warschauer Paktes schon daran gemacht hatten, mit dem "Prager Frühling" auch das tschechoslowakische "Filmwunder" der Sixties niederzuwalzen.

Zu dessen wichtigsten Regisseuren, die nun - so sie nicht ins Ausland gingen - auf Jahre hinaus Berufsverbot erhielten, gehörte V"era Chytilovß, auf deren "Tausendschönchen" obiges Zitat gemünzt war.Daß dieser Streifen auch heute noch, nach mehr als drei Dekaden, ihr bekanntestes Werk ist, hat seinen guten Grund: Seine beiden Protagonistinnen huldigen dem Hedonismus und dem "Anything goes", benehmen sich girliemäßig rüpelhaft und beschließen nach der unsentimentalen Erkenntnis, daß die Welt schlecht und pervertiert ist, sich dementsprechend zu benehmen.Kurzum: Die fröhliche, ganz unaufdringlich kritische Konsumorgie "Tausendschönchen" paßt recht gut in unsere postmoderne Zeit des illusionslosen Universalzynismus und - hoffentlichen - Endes der Ideologien.

Daß der Film so bekannt und relativ häufig zu sehen ist, verstellt aber auch etwas den Blick auf das weitere Werk Vera Chytilovás.Eine Möglichkeit, den Horizont zu erweitern, bietet in den nächsten Wochen das Tschechische Zentrum, das der Regisseurin leicht verspätet zu ihrem siebzigsten Geburtstag eine kleine Retrospektive widmet.Den Anfang macht heute "Von etwas anderem", Chytilovás erster abendfüllender Spielfilm, mit dem sie sich 1963 bereits als die formal wohl radikalste Vertreterin der vielgelobten "Neuen Welle" profilierte.Denn während ihre Mitstreiter wie Milos Forman, Jirí Menzel oder Jan Nemec zwar thematisch und bildästhetisch manche Kühnheit wagten, blieben sie doch erzähltechnisch eher konventionell.Chytilová dagegen hinterfragte, ignorierte und ironisierte auch immer wieder gängige dramaturgische Mittel und die Kinoillusion, verband hier auf ebenso virtuose wie ungewöhnliche Weise die Schilderung des - teils dokumentarischen, teils fiktiven - Alltags einer Leistungssportlerin und den einer Hausfrau und Mutter miteinander.So wenig sie dabei den Zuschauern ein Urteil über die Frauen aufdrängt, erscheinen diese doch als reduzierte Persönlichkeiten, die an den ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Rollen leiden, ohne sich aus diesen befreien zu können.

Wie es sich für die einzige Regisseurin der "Neuen Welle" (und ja überhaupt eine der wenigen Frauen, denen es bis vor kurzem gelang, sich in diesem Beruf zu etablieren) gehört, stellte Chytilová immer wieder Frauen in den Mittelpunkt ihrer Filme oder erzählte diese aus weiblicher Sicht: Sei es das Treiben eines Arztes und Frauenhelden (gespielt übrigens von Jirí Menzel) in "Spiel um den Apfel", die verzweifelte Schürzenjagd eines alternden Don Juan in "Allzu später Nachmittag eines Fauns" oder die radikalfeministische "Entwaffnung" zweier Vergewaltiger durch ihr Opfer in "Fallen, Fallen, kleine Fallen", Chytilovás jüngstem Film.

Tschechisches Zentrum

JAN GYMPEL

Zur Startseite