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Kultur: Die Frau mit den zwei Gesichtern

Neurosen à la française: „Sag, dass du mich liebst“.

Von Maris Hubschmid

Zwei Gesichter. Das eine: nicht viel mehr als eine Stimme, und doch glaubt jeder, es zu kennen. Radiomoderation Mélina (Karin Viard) geht allabendlich bei Radio France auf Sendung, bahnt sich verlässlich den Weg zu den Herzen ihrer Anruferinnen. „Sagen Sie mir, was Sie bewegt.“ So warm und vertraut klingt Mélina, so offen und klug, dass die Menschen bereitwillig zu erzählen beginnen. Ob es um Sex im Alter geht oder die Gefühle für den besten Freund: Mélina vermittelt Selbstbewusstsein, Lebensmut.

Das andere Gesicht zeigt eine attraktive, neurotische Frau mit panischer Angst vor Keimen und Kontrollverlust. Die Fanpost, die sie säckeweise erreicht, schleppt Mélina in ihr Appartement, in dem lediglich das Hündchen wartet. Einzige fixe Kontaktperson im Privatleben von Claire Martin, wie Mélina wirklich heißt, ist ihre Putzfrau. Claire ist ein Heimkind, inzwischen 40 Jahre alt. Immerhin mit einer Art Hoffnung: Eine abgegriffene Postkarte markiert die einzige Verbindung in eine Welt, die sie eines Tages zu entdecken hofft. „I'll come back to you. Love, Mommy.“

Mit dem Brief einer Detektei geht Claires Recherche richtig los. Getarnt als ehrenamtliche Mitarbeiterin einer Altkleidersammelstation, nähert sie sich denen, die ihre Familie hätten sein sollen. Pochenden Herzens steht sie im Wohnzimmer eines biederen Vorstadtreihenhäuschens – doch einzig ihr Stiefneffe Lucas, ein talentierter Fotograf, nimmt von ihr ernsthaft Notiz. Er will die fremde Frau aus der Reserve locken, ein Versuch, der in einem stürmischen Kuss kulminiert. Und scheitert.

Claire verpasst ihre Chance auf das Glück. Als die Mutter Claires eigentliches Motiv erkennt, hat sich in ihr das Bild einer verklemmten Frau, die sich da in ihr Leben drängt, so gefestigt, dass sie nicht bereit ist, Nähe zuzulassen. Dramatisch schreit Claire: „Sag, dass du mich liebst!“ Da ist der Originaltitel „Parlez- moi de vous“ (Erzählen Sie mir von sich) weitaus vielschichtiger. Es ist Mélinas Einleitungssatz im Radio. Und die Aufforderung von Lucas an Claire, sich selber zu öffnen – ein Angebot, das sie ignoriert.

Pierre Pinauds Regiedebüt besticht durch klare Bilder – und eine musikalische Untermalung, die die melancholische Stimmung dezent grundiert. Ja, wie die Hauptperson selber wirkt sie immer ein bisschen kontrollierter als angemessen und entwickelt so eine starke unterschwellige Spannung. Überzeugend auch die Besetzung: Nadia Barentin brilliert in ihrer letzten Rolle, und der 32-jährige Nicolas Duvachelle versteht sich wunderbar auf feine mimische Varianzen. Und dafür, dass die Hauptfigur Claire/Mélina nicht ganz überzeugt, kann Karin Viard am allerwenigsten. Mal sind ihre Neurosen allzu plakativ gezeichnet. Mal driftet die Inszenierung in Richtung Tragikomödie und sogar Slapstick, und dann reißt wiederholt regelrecht der Faden. Dazu passt auch die deutsche Synchronfassung: Sie verlegt sich auf einen Plauderton – und berührt somit weitaus weniger als das Original. Maris Hubschmid

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