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Kultur: Die Freiheit endet an der Fahrertür

Roadmovie mit Tschador: Abbas Kiarostami widmet seinen Episodenfilm „Ten“ den iranischen Frauen

In katholischen Kirchen gibt es den Beichtstuhl. Ein abgeschirmtes, schalldichtes Gehäuse, in dem sich, anonym und absolut offen, jede Verfehlung bekennen lässt. Für den iranischen Regisseur Abbas Kiarostami hat das Auto diese Funktion übernommen. Schon in „Der Geschmack der Kirsche“ sah man mit Beifahreraugen einem melancholischen, todessehnsüchtigen Mittfünfziger beim Fahren (und Reden) zu. In „Ten“, dem 2002 auf den Filmfestspielen in Cannes vorgestellten neuen Kiarostami-Film, ist das Prinzip perfektioniert: Reigengleich lösen sich die fünf Beifahrer ab, immer abwechselnd blickt die Kamera vom Amaturenbrett auf die Vordersitze, springt hin und her, wie auch die Worte und Gesprächspartner wechseln. Ein gefilmter Dialog der minimalistischen Art. Und ohne jeden Seitenblick.

Die Konstruktion hat einen Grund: Immer schon, hat Kiarostami unlängst im Interview betont, habe er einen Film mit Frauen in der Öffentlichkeit drehen wollen. Allein: In der iranischen Gesellschaft wäre das nur verschleiert möglich gewesen. So wählt er die Halböffentlichkeit des Automobils, gibt seinen Protagonistinnen die Möglichkeit, am städtischen Leben teilzunehmen und ihre Meinung erstaunlich offen zu sagen. Die schöne Mania Akbari ist sehr selbstbewusst, wie sie da auf ihrem Weg durch Teheran hinterm Steuer sitzt, Verkehrsteilnehmer beschimpft, ihre Schwester, den Sohn, die Freundin oder Zufallsbekannte aufliest. Sie trägt Lippenstift, Sonnenbrille und das Kopftuch nur locker geschlagen. Und doch endet die Freiheit an der Autotür. In die Moschee wird sie nicht zugelassen, weil sie den Tschador nicht trägt, ein andermal wird sie von männlichen Verkehrsteilnehmern beschimpft oder von ihrem Sohn zur Schnecke gemacht. Die Gemeinschaft der Frauen, die im geschützten Raum des Wagens so weit geht, dass eine von ihnen schließlich ihr Kopftuch abnehmen kann, ist nicht für die Öffentlichkeit gedacht.

Das Anliegen, das Kiarostami umtreibt, ist berechtigt – die Art, wie er es filmisch behandelt, wirkt wie eine Fahrt mit angezogener Handbremse: Der Film hebt nicht ab. Frühere Kiarostami-Filme nahmen die sozialen oder politischen Konflikte im Iran zum Ausgangspunkt für schwebende, weit über den politischen Rahmen hinausreichende Welterforschungen. Der ruhige Blick auf Landschaften, das Rätsel, das ein einzelner Baum in der Wüste aufgeben kann, die Enge einer Dorfgemeinschaft haben „Quer durch den Olivenhain“ oder „Der Geschmack der Kirsche“ in Europa zu Fimereignissen gemacht.

In „Ten“ ist dieser Blick einer strengen, thesenartigen Nahsicht gewichen. Denn Kiarostami kämpft für die Sache der Frauen im Iran, für, wenn schon nicht Gleichberechtigung, dann doch etwas mehr Freiheit. Dafür, dass eine Frau ihrem Beruf nachgehen darf, ohne dafür von Ehemann und Sohn gescholten zu werden, dafür, dass auch Frauen das Recht haben, sich scheiden zu lassen oder allein zu leben. Und er lässt die Frauen selbst kämpfen, lässt sie Fragen stellen, die man so nicht erwartet hätte. Einmal nimmt die Fahrerin eine Prostituierte mit, insistiert, hakt beharrlich nach: Warum tust du das? Bis am Ende herauskommt, dass die Prostituierte vielleicht fortschrittlicher ist als die Hausfrau, die daheim auf ihren Mann wartet, während der sie am Telefon belügt.

Man erfährt viel in diesem Film, hört iranische Frauen sprechen, wie man sie noch nie zuvor vernommen hat. Und man erfährt, dass all diese Offenheit nichts nützt, wenn sie nur unter Frauen stattfindet. Denn die stärkste Episode ist die, mit der der Reigen beginnt und schließt, die einzige auch, die einen Mann involviert: Die Fahrerin holt ihren Sohn von der Schule ab, und gleich beginnt ein heftiger Streit. Die Mutter hat sich von seinem Vater getrennt und wieder geheiratet, er nimmt es ihr übel. Doch wie dieser Knirps, aus Verlegenheit, aus Verletztheit, aus Hilflosigkeit alle männlichen Machogesten kopiert, die er von seinem Vater gelernt hat, wie er seine Mutter niederschreit und spitzfindig und rechthaberisch argumentiert, ist erschreckend. Am Ende steigt der Sohn wütend aus. Sie bleibt im Auto sitzen.

OmU, Filmbühne am Steinplatz, fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe

Christina Tilmann

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