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Kultur: Die Freiheit nehm’ ich dir

Vom Verschwinden einer Bilderwelt: Tabakwerbung wird nun auch in Deutschland verboten. Ein Verlust?

Als der Zigarettenkönig Joe Allan van Braams nach Berlin kommt, mietet er sich im vornehmsten Hotel der Stadt ein. Er sucht einen Werbepartner. Eine neue Marke soll eingeführt werden, und dessen bedarf es eines „Feldherrn“, wie Mister Joe Allan meint, der „einen Krieg mit den Augen und den Gedanken der Menschen führen muss“. Da besucht ihn im Hotel Imperator ein Straßenjunge, das heißt, der klettert vielmehr aus einer Kiste, in der er sich ins Zimmer des Tabak-Unternehmers hat schmuggeln lassen. Er wolle Reklamekönig werden, verkündet der 13-Jährige und verspricht: „Wenn ich jetzt will, redet morgen früh die ganze Stadt von mir, und es kostet mich keinen Pfennig.“

Er wird das Versprechen halten. Denn in Wolf Durians Kinderbuch-Klassiker „Kai aus der Kiste“ von 1949 triumphiert der Anarchismus der Straße über das Establishment, wird Werbung als das begriffen, was sie bald sein wird: eine aggressive Durchdringungsstrategie des Alltags, bei der Präsenz mehr zählt als Qualität. Dass es sich bei dem Wettstreit zwischen dem Berliner Straßenjungen und einem bürgerlich-diplomierten Reklameagenten ausgerechnet um Zigarettenwerbung handelt, wirkt erst im Zuge einer Entwicklung anstößig, die den Jugendschutz als gesellschaftliche Aufgabe entdeckt hat. Heute raucht beinahe jeder dritte Jugendliche, das durchschnittliche Einstiegsalter liegt bei erschreckenden 11,6 Jahren.

Das hatte Wolf Durian nicht im Sinn, als er ein Kind zum Helden einer Werbeschlacht um eine Zigarettenmarke macht. Und dennoch: Pellicio ergo sum – Ich werbe, also bin ich, lautet der Leitsatz unserer Zeit, in der alles im Überfluss vorhanden ist, nur nicht die Zeit selbst. Im Gegenteil scheint das, was wir an Tagen, Stunden und Millisekunden zur Verfügung haben, immer stärker einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ unterworfen zu sein, wie der Kulturtheoretiker Georg Franck meint. In diesem „mentalen Kapitalismus“ ist Werbung die Speerspitze einer Dynamik, bei der Waren nicht einfach nur konsumiert werden. Vielmehr stehe, so Franck, „der Konsum im Sog der Selbstwertschätzung, das Konsumieren wird zur Arbeit an der Attraktivität der Person“.

Mit anderen Worten: Im Fegefeuer der Eitelkeiten, die sich auch ein Straßenjunge leistet, existiert das Konkurrenz- Ich nur, wenn es Aufmerksamkeit auf sich zieht. Da darf sich die Reklameindustrie als Lebenshelferin gebärden. Nichts hat diese Entwicklung so stark geprägt wie die Tabakwerbung.

Damit ist es nun vorbei. Seit die Bundesregierung in der letzten Woche durch die EU-Kommission gezwungen wurde, ihren lobbyfreundlichen Kurs in Sachen Tabakwerbung aufzugeben (ein Gesetzentwurf ist eingebracht), verliert die Zigarette buchstäblich ihr Gesicht. Was bleibt: ein Suchtmittel. Man wird sie nicht mehr sehen, die ganzseitigen Zeitschriftenanzeigen und kolossalen Schriftzüge auf Formel-1-Boliden, mit denen die Tabakindustrie neue Lebensgefühle suggeriert. Auch das Rauchen in der Öffentlichkeit wird immer stärker eingeschränkt. Soll man diesen Verlust bedauern?

Die Raucherkultur, ein Kind des kolonialen 16. Jahrhunderts, war das erste Phänomen der Moderne, bei dem der Markt da war, bevor es ein Bedürfnis nach ihm gab. Denn die amerikanischen Tabakpflanzungen erwiesen sich für die britischen und spanischen Eroberer zunächst als probates Besiedelungsmittel. Der Tabakhandel ließ beträchtliche Gelder in die Neue Welt zurückfließen und bewahrte die zivilisatorischen Brückenköpfe vor dem Aussterben.

In den europäischen Salons hielten Rauchwaren durch Matrosen und andere Fahrensmänner Einzug. Die hatten Indios mit „glühenden Kohlen“ in der Hand herumlaufen sehen und taten es ihnen nach. Welchen tieferen Sinn dieser Brauch verfolgte, niemand wusste es so genau. Und niemanden interessierte es. So boten sich der Tabakindustrie lange vor Erfindung der ersten Zigarettenmaschine (1880) Verführungsmethoden an, die sich vom eigentlichen Produkt lösen und um ein süßes, exotisches Nichts kreisen – das heute Lifestyle heißt.

„Blow in her face and she’ll follow you anywhere“, weckt 1969 eine Zigarillo- Werbung den Macho im Mann, vom Geschmack der Marke oder sonstigen Vorzügen des Krauts ist nichts zu erfahren. Stattdessen wird ein Lebensgefühl ausgerufen, das den Raucher zum Sexsymbol stilisiert und als Schöpfungsgott umgarnt, dessen Atem einen himmlischen Funken überspringen lässt. Ob Camel-Mann („Für eine Camel lauf ich meilenweit“), Marlboro-Cowboys („Come to where the flavour is ...“) oder Test-the-West-Freaks – die Tabakwerbung spielt mit einer Kultur des Narzissmus, lange bevor es den Begriff dafür gibt. In ihr werden Fantasiewelten kreiert, ein Traumreich der Wünsche, in dem sich die Raucher mit ihrer Zigarette identifizieren können. Zuweilen sogar gegen die Intention der Einflüsterer. So wurde Marlboro mit seinem Harte- Kerle-Image als Männerzigarette konzipiert, aber eigentümlicherweise überwiegend von Frauen geraucht.

Die Zigarette ist von jeher ein Schauplatz des Geschlechterkriegs. Für Damen war Rauchen lange nicht opportun. Weshalb die Kippe im Mundwinkel einer Hollywood-Diva wie Marlene Dietrich erst recht als Verführungsfanal taugte. „Männer rauchen, um Männer zu werden, und Frauen auch“, schreibt Christina Peri Rossi in ihrem Abgesang auf „Die Zigarette“ (Berenberg Verlag). Darüber hinaus spricht der Raucher-Kult, wie er sich in Kinofilmen und Büchern austobt, von einer Intensivierung der Lebenserfahrung. Ob es nun die abgebrühten Helden in Raymond Chandlers Mord-Balladen sind, „die essen und sprechen und spucken, ohne je die Zigaretten zu stören, die in ihren Gesichtern leben“; oder der lasziv hingestreckte Vamp: Erst die Todesdrohung und seine Leugnung verleihen der Zigarette den Reiz.

Trotz ihrer jahrzehntelangen Vorreiterrolle hat die Tabakwerbung an Innovationskraft deutlich eingebüßt. Die raffinierteren Clips werden längst für andere Märkte gemacht. Da man mit Zigarettenfabriken nicht mehr Bizets „Carmen“, sondern Giftküchen identifiziert, können die Hersteller zum aktuellen Öko-Trend nicht aufschließen. Sogar Autokonzerne stellen sich glaubwürdig als Umweltfreunde dar, denen die Gesundheit ihrer Kunden am Herzen liegt. Mit Lucky Strike wurde die letzte große Werbeschlacht gewonnen. Das schlichte Design, das nur das Rauchen selbst, „sonst nichts“, anpries, richtete sich an die Desillusionierten, die für Lebenswelt-Konstrukte verloren waren. Da sollte einem die Kampagne zu denken geben, bei der man den Soul-Sänger Ray Charles mit einer Zigarette sah. Dazu der Spruch: Dieser Mensch raucht, obwohl er nie eine Zigarettenwerbung gesehen hat.

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