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Szene aus der Galerie berlintokyo

© Aus dem besprochenen Band

Die Galerie Berlintokyo als Prototyp der Berliner Subkultur: Gegenwart war gestern

Die Galerie Berlintokyo, die wilden Subkultur und ihre Historisierung: Eine Ausstellung und ein Buch feiern die neunziger Jahre.

Als eigentlich schon alles vorbei war und die legendäre Galerie Berlintokyo offiziell geschlossen wurde, organisierten ihre Betreiber noch einmal zwei große Partys. Die eine fand in der Ku’damm-Disko Big Eden statt, nur drei Monate nach der Schließung der Galerie im Mai 1999. Sie war ein voller Erfolg. Nicht nur, weil Rolf Eden höchstpersönlich sich die Ehre gab, sondern weil in dieser Nacht atmosphärisch alles zusammenkam, was die Galerie Berlintokyo in den Jahren zuvor ausgemacht hatte: Ironie, Subversion, die Subversion der Subversion, Punkrock, Verpeiltheit, die achtziger Jahre im Gewand der Neunziger.

Die andere Galerie-Berlintokyo-Party stieg gut zwei Jahre später im Würfel, in einem an ein Jugendzentrum gemahnenden Laden in der Markgrafenstraße, in einer Gegend, die noch nie zu den Ausgehadressen von Mitte gehört hat. Dieser Party haftete trotz der Auftritte des Techno-Acts Tok Tok und der Sängerin Soffy O etwas Müde-Gestriges an: Die neunziger Jahre waren definitiv vorbei, und sich innerhalb so kurzer Zeit schon ein Revival zu gönnen, wurde mehr als schlechter Scherz aufgenommen.

Gegründet 1996 im Keller eines Hinterhofs in der Rosenthaler Straße von einer Gruppe Anfangzwanzigjähriger, war die Galerie Berlintokyo ein vor allem der Gegenwart verpflichtetes Projekt, angetrieben von der Idee, allen möglichen Kunstformen einen Raum zu geben und dabei so viel Spaß wie möglich zu haben. „Wir fingen an, uns zu wiederholen und auf der Stelle zu treten“, nannte damals einer der Betreiber als Motiv für die Schließung; und ein anderer ergänzte: „Die Grundidee war, dass es einen Raum gibt, in dem wir unseren Quatsch machen. In dem Moment, in dem wir selbst keine Lust mehr hatten, da unten rumzustehen, war die Luft raus.“

Im Zentrum der Ausstellung: Die Galerie Berlintoyko

Im Zuge der allumfassenden Historisierung und auch Heroisierung der subkulturellen neunziger Jahre gerät nun auch die Galerie Berlintokyo wieder in den Blick. „Wir sind hier nicht zum Spaß“ heißt eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, die die damaligen subkulturellen Strukturen Berlins in „einen größeren urbanistischen Kontext“ zu stellen versucht und einen Raum ganz der Galerie Berlintokyo widmet. Ausgestellt sind Fotos des Galerie-Mitbegründers Martin Eberle, die dieser von den leeren Räumen der Galerie gemacht und mit Bildern von anderen längst geschlossenen Clubs schon einmal 2001 in dem schönen Band „Temporary Spaces“ versammelt hat.

Zudem liegt Eberles neuer, anlässlich der Ausstellung veröffentlichter Band aus. Darin zeigt er Fotos von Partys in der Galerie Berlintokyo und deren Protagonisten, nicht nur aus den als „Gothic-Keller“ bekannt gewordenen zwei Räumen in der Rosenthaler Straße, sondern auch aus dem Big Eden, von den Jugendmusikfestspielen in der Kongresshalle am Alex, aus dem Kunst & Technik oder dem im Nachbarhof gelegenen Sniper.

Auffällig an den Bildern ist, neben der Jugendlichkeit der Porträtierten, wie betont ungestylt viele aussehen, wie hier nur dezent auf bohemistische Neigungen verwiesen wird. Es mögen mehr als 15 Jahre ins Land gegangen sein, aber das erkennt man auf diesen Bildern kaum. Sie könnten auch aus dem Nachtleben der Gegenwart sein – sieht man mal von Vollbärten und Schnauzern bei den Männern ab, die damals noch nicht en vogue waren.

Prominent ist hier kaum jemand, außer Goetz und Westbam

Was ebenfalls auffällt: Prominent ist kaum jemand geworden. Ein Foto zeigt den Schriftsteller Rainald Goetz beim Auflegen, ein anderes den Technoproduzenten und DJ Westbam. Beide wechselten für ihre Auftritte in der Galerie die Seiten: Westbam präsentierte gemalte Selbstporträts, Goetz seine Single „word 2: liegen geht.“ Der Pop- und Cheap-Art Maler Jim Avignon ist mehrmals zu sehen, natürlich die vier Musiker des Jeans Teams, damals die Hausband der Galerie. Heute sind Jeans Team mit bescheidenen musikalischen Mitteln („Alkomat“ heißt ihr jüngstes Album) und bescheidenem Erfolg zu zweit unterwegs. Aber Cobra Killer, die Narcotics, die Honey Suckle Company? Die kennt niemand mehr.

Goetz und Westbam erscheinen dabei wie Abgesandte eines fremden Planeten – der Techno- und Rave-Kultur. Mit der hatte man in der Galerie Berlintokyo wenig im Sinn; die Galerie war vor allem etwas für Menschen, die genauso kaputten wie spaßigen Indierock zumeist deutscher Prägung liebten, („Rock The City Down“ hieß 1997 eine Aktion) und die sich an der seltsam erratischen Kunst eines Heinrich Dubel oder Rafael Horzons erfreuten oder den Püppchenparadiesen eines Radical Suzuki.

Die Galerie Berlintoyko ist ein Prototyp des Geistes jener Zeit

Trotzdem ist die Galerie Berlintokyo ein Prototyp des Geistes jener Zeit. Ob Techno, Indie oder Kleinkunst: Es ging punkrockmäßig darum, selbst etwas auf die Beine zu stellen, einen Club zu betreiben, eine Ausstellung oder Konzerte zu organisieren. Leer stehende Räume und Läden, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren, gab es genug, und häufig reichten ein Tisch, zwei Plattenteller und ein paar Kisten Beck’s. Zum Scheitern führten weder Misswirtschaft noch fehlendes Publikum, sondern die Häuser wurden abgerissen, saniert, verkauft – oder die Macher hatten einfach keine Lust mehr. Wer auf den Geschmack gekommen war, setzte als Club-Betreiber auf den „nomadisierenden Club“ (WMF, Cookies, 103 sind die bekanntesten Beispiele) oder versuchte sich anderweitig künstlerisch.

Mit der nachträglichen Darstellbarkeit jener Zeit aber ist das so eine Sache. Bleibendes hatte man im Berlin-Mitte der neunziger Jahre nicht im Sinn – es regierte ultimative Gegenwartsbezogenheit. Eberles Bilder sind schöne Porträts von Menschen in Feierlaune – die Magie des Moments aber zeigt sich selten. Mit der Ausstellung im Bethanien verhält es sich noch einmal ein wenig anders. Dass hier ein Stück Stadtgeschichte ausgestellt wird, vermitteln die Erinnerungen der Protagonisten, die als Hörstück zusammengeschnitten worden sind.

Sieht man von Daniel Pflumms auch international berühmt gewordenen Videos und Logo-Leuchtkästen ab, ist wenig übrig geblieben aus der Zeit. „Kunst für ein Ausgehpublikum“, wie sie in der Galerie Berlintokyo präsentiert wurde, war eben Kunst für den Augenblick, nicht für die Ewigkeit oder wenigstens den Markt gemacht. Die vielen nebeneinander aufgereihten auf Veranstaltungen hinweisenden Flyer sehen traurig trashig aus; immerhin erschließen sich Ironie und Gegenwartsfixiertheit von damals dadurch, dass in mehreren Vitrinen an sich wertlose, mitunter völlig belanglose Objekte wie Kunst ausgestellt werden. Ein Kreuzberger Pflasterstein und ein Böller aus den Jahren 90/91 zum Beispiel, ein Walkman, eine Kassette mit Housemusik, der Rest eines Love-Parade-Absperrbandes. Oder ein Flachmann, den jemand 1998 auf ein Blondie-Konzert zu schmuggeln versucht hat.

Schön auch das neben Clubmarken aus dem 103 oder dem White Trash liegende gelbe Eintrittsbändchen, das, wie es erläuternd heißt, „an eine Veranstaltung erinnern sollte, die als bedeutend empfunden und jetzt dennoch vergessen wurde“. Das aber wird – da kann man sich bei der vielen Erinnerungsarbeit in Form von Fotos, Büchern und Ausstellungen sicher sein – den schön wilden neunziger Jahren der Berliner Subkultur nicht so schnell widerfahren.

Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, bis zum 25. 8., Di–So, 12 – 19 Uhr. – Ein Gespräch mit Martin Eberle am Dienstag, 30. Juli, 19 Uhr. Eberles Fotoband „Galerie Berlintokyo“ für 28 € in der Ausstellung oder unter www.drittelbooks.com

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