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Kultur: Die ganze Sippe

Glücksfall: Das Berliner Bode-Museum erhält eine Riemenschneider-Gruppe

Die Madonna mit Kind, auf die sich die Figurengruppe beziehen sollte, ist wohl im Laufe der Jahrhunderte verlorengegangen. Und doch verdanken zumindest die drei Ehemänner der Heiligen Anna ihr ihre Existenz. Denn der Versuch, die Unbefleckte Empfängnis auf eine lebenslange Jungfräulichkeit Mariens auszuweiten und gleichzeitig die Existenz von Geschwistern Jesu zu erklären, führte im frühen Mittelalter zu einer üppigen Legendenbildung. Die Heilige Anna, Mutter Mariens, so die auch in der „Legenda aurea“ ausgebreitete Theorie des „Trinubiums“, habe nach Tod ihres ersten Mannes Joachim zwei weitere Männer, Kleophas und Salomas, geheiratet, und mit ihnen je eine Tochter namens Maria gezeugt. Die Söhne dieser Marien seien nun jene Brüder (eigentlich Halbbrüder) von Jesus gewesen, von denen die Bibel spricht und die dann später mit den Aposteln gleichgesetzt wurden.

Fast fünfzig Jahre bevor diese Legende auf dem Konzil von Trient endgültig ad acta wurde, hat der süddeutsche Bildhauer Tilman Riemenschneider um 1506 eine etwa ein Meter hohe Figurengruppe für einen Annenaltar geschaffen: Anna, in ein prächtiges gefälteltes Gewand gekleidet, sitzt wahrscheinlich der (verlorenen) Madonna mit Kind zugewandt, hinter ihr stehen ihre drei Männer, bärtige, ehrwürdige Gestalten, im trauten Gespräch.

Die Nachricht, dass es der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder, der Ernst-vonSiemens-Kulturstiftung sowie der Deutschen Bank gelungen ist, dieses Hauptwerk für ihr im Oktober nach umfassender Restaurierung neu eröffnetes BodeMuseum zu erwerben, ist eine Sensation. Denn der mit bislang 13 Werken ohnehin schon reiche Berliner Riemenschneider-Bestand, den vor allem Wilhelm von Bode zusammengetragen hatte, ist damit noch einmal aufgewertet. Es sei wahrscheinlich die wichtigste Erwerbung seit Jahrzehnten, so Hartmut Krohm, ehemaliger Vizedirektor der Skulpturensammlung und Riemenschneider-Experte: Eigenhändige Werke von Riemenschneider seien kaum noch auf dem Markt.

Das tröstet auch darüber hinweg, dass die letzte Chance, einen Riemenschneider zu erwerben, vor zwei Jahren gescheitert war: Die berühmte Skulpturen-Sammlung des Justizrats Gerhart Bollert, um die sich die Berliner Museen lange bemüht hatten, war 2004 schließlich ans Bayerische Nationalmuseum in München gegangen. Im Bayerischen Nationalmuseum, das neben Berlin und Würzburg die bedeutendste Riemenschneider-Sammlung in Deutschland besitzt, war auch die „Hl. Anna mit ihren Ehemännern“ zuletzt zu sehen (weitere Teile des ursprünglichen Annen-Retabels sind heute in London und Stuttgart zu sehen). Ein Privatsammler hatte die Figurengruppe 2004 in der Annahme verkauft, die neue Eigentümerin werde das Werk weiterhin als Leihgabe im Münchner Museum belassen. Als es stattdessen (zum vielfachen Preis) dem Museum zum Kauf angeboten wurde, focht der Alteigentümer den Kauf erfolgreich wegen arglistiger Täuschung an.

Nun ist Berlin der glückliche Dritte. Schon einmal, 1929, war die Skulpturengruppe den Berliner Museen zum Kauf angeboten worden, damals noch von der Sowjetregierung, die das Werk zwecks Devisenbeschaffung veräußern wollte. Wie die „Hl. Anna“, die ursprünglich wohl aus einem Altar der Marienkapelle in Rothenburg ob der Tauber stammt, überhaupt nach Russland gelangt war, ist noch unklar – möglicherweise sei sie über eine hessische Prinzessin in den Besitz der russischen Krone gelangt, vermutet Philipp Demandt, Dezernent der Kulturstiftung der Länder, in einem Essay für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Nach Ablehnung durch die schon damals finanzklammen Berliner Museen gelangte sie von Russland aus erst einmal für Jahrzehnte in Privatbesitz.

Ab 20. Februar nun soll die „Hl. Anna und ihre drei Männer“ nun im Riemenschneidersaal des Bode-Museums dauerhaft zu sehen sein. Die Riemenschneider-Forschung dürfte noch einige Fragen vor sich haben. Die Berliner Museumsbesucher jedoch können sich auf ein weiteres Highlight freuen.

Christina Tilmann

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