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Kultur: Die Geburt des Genies

In Pablo Picassos Vaterstadt Malaga eröffnet ein neues Museum mit über 200 Werken des spanischen Malers – ein neuer Magnet der Kunstwelt

Von Christina Tilmann

Es ist wie eine Feier in der Großfamilie: Alle Geschwister sind gekommen, um dem Geburtstagskind Glück zu wünschen – und haben ihre Geschenke mitgebracht. Allen voran Christine Ruiz-Picasso, die Ehefrau von Picassos 1974 verstorbenem ältesten Sohn Paul, und ihr eigener Sohn Bernard. Sie ist eine elegante, grauhaarige Französin, die eindeutig klarmacht, dass nicht sie, sondern Picasso hier im Mittelpunkt steht: So weigert sie sich bei der Pressekonferenz des neuen Picasso-Museums in Malaga entschieden, sich vor einem Gemälde Picassos fotografieren zu lassen. Neben ihr, diskret, der Sohn Bernard, ein zurückhaltender Mittfünfziger, der das feine Lächeln von seiner Mutter, die hohe Stirn und die tiefliegenden Augen seines Großvaters geerbt hat.

155 Werke haben die beiden dem neuen Museum in der Geburtsstadt des Jahrhundertkünstlers überlassen. Bernard, der mit der Kunsthändlerin Almine Picasso verheiratet ist, gab zudem weitere 49 Bilder als zehnjährige Leihgabe nach Malaga. Beide erfüllen damit einen Wunsch Picassos, der schon in den 50er Jahren plante, seiner Heimatstadt einige Werke als Grundstock eines eigenen Museums zu überlassen. Christine und Paul Picasso waren schon 1954 nach Andalusien gekommen, um erste Gespräche über das Projekt zu führen. Der Plan scheiterte damals, zur Hochzeit der Francisten, an der Ignoranz der örtlichen Politiker, die den politisch wie künstlerisch verfemten Picasso nicht in der Stadt wissen wollten. Nun, 50 Jahre später, hat sich der Traum des Künstlers umso glanzvoller erfüllt.

Der Ort des Geschehens: ein imposantes Stadthaus aus dem 16. Jahrhundert, unweit der Kathedrale. Der „Palacio de Buenavista“gruppiert sich über zwei Stockwerke um einen inzwischen überdachten Renaissance-Innenhof. Die Fenster hat man, nach andalusischer Tradition, mit Bastmatten verhängt: Lichtschutz und Klimaausgleich in einem. Die Räume sind kühl und klassisch, einziger Blickfang sind fein ziselierte maurische Holzdecken, die in fast allen Räumen original erhalten sind. Und weil der Raum im Altbau nur für die ständige Sammlung ausreicht, hat man den amerikanischen Architekten Richard Gluckman für 66 Millionen Euro mit einem Anbau beauftragt: Eine rostrote Eisenbrücke führt nun hinüber in eine Reihe von weißen Kuben, deren größter eine 400 Quadratmeter große Galerie für Wechselausstellungen beherbergt. Insgesamt stehen 8300 Quadratmeter zur Verfügung.

Viel hat Malaga bislang nicht von Picasso gesehen: Er hat nur die ersten acht Jahre seines Lebens hier verbracht. 1891 zog die Familie nach La Coruña, 1895 nach Barcelona. Der Knabe kehrt noch mehrmals in den Sommerferien nach Malaga zurück, korrespondierte mit Freunden. 1896 kam er das letzte Mal in die andalusische Hafenstadt. Die „Heimkehr des verlorenen Sohnes“ wird deshalb nun mit allem Aufwand gefeiert: König Juan Carlos ist mit Ehefrau Sofia zur Eröffnung des Museums gekommen, es gibt Prozessionen und einen Stierkampf im Stile der Jugendzeit Picassos, die lokalen Medien überschlagen sich mit Beilagen, Berichten und Buch-Beigaben. So wird es tatsächlich zum späten Familientreffen: Nicht nur Christine und Bernard, auch die Picasso-Töchter Paloma und Maja sind dem Ruf zu den Ursprüngen gefolgt.

Es ist eine späte Wiedergutmachung: Denn auch wenn Malaga das Geburtshaus Picassos schon immer mit einem kleinen Museum ehrte, sehr viel mehr als das Taufkleid des Knaben sowie einige mit einem roten „P“ bestickte Hemdchen sind dort nicht mehr zu sehen. Der Vater, ein akademischer Taubenmaler, zog zwei Jahre nach Pablos Geburt mit der aus Schwestern und Tanten bestehenden Familie in eine größere, benachbarte Wohnung, am Geburtsort blieb kein einziges Möbelstück erhalten. Picassos Nachlass ging nach Paris und Barcelona.

Von hier sind viele Stücke nun leihweise erstmals nach Malaga gekommen. Denn nicht nur die leibliche Familie, auch die weltweit verstreute Familie der Picasso-Museen beteiligt sich an der Neueröffnung des Museums. Die großen Sammlungen in Paris, Barcelona und Antibes sowie einige kleinere Häuser wie die Sammlung Beyeler in Basel und einige Privatsammlungen haben großartige Leihgaben mitgebracht, um das neue Haus mit einer glanzvollen Eröffnungs-Ausstellung zu bestücken: „Der Picasso der Picassos“ (so der Titel) versammelt 87 Werke aus allen Schaffensperioden, darunter die berühmte „Celestina“ aus der Blauen Periode, die als Leihgabe aus Paris erstmals in Spanien gezeigt wird, dazu eine Vorstudie der „Demoiselles d’Avignon“, unzählige Frauenporträts und die an Velazquez orientierten „Meninas“ aus Barcelona.

Und doch ist es nicht die Eröffnungs-Ausstellung, die das Haus in Malaga zu einem neuen Wallfahrtsort für Picasso-Fans macht. Es ist die ständige Sammlung, mit der sich Malaga nun als Kunststadt verewigt. Angesichts des immens großen Picasso-Oeuvres, angesichts der weltweiten Verbreitung seiner Werke überrascht es, noch einmal mit Bildern konfrontiert zu werden, die dem Gesamtklang einen neuen Ton hinzufügen. In Malaga ist es ein feiner Kammermusikton. Es sind, quer durch alle Schaffensperioden, ausgesprochen private Stücke, die die Kinder des 1973 verstorbenen Künstlers erbten: Bilder, die Picasso nicht verkaufen wollte, sondern im Atelier behielt. Es sind Portraits seiner Frauen und Geliebten, seiner Kinder, es sind Erinnerungsbilder an die Jugend in Malaga und La Coruña und, im Alter, zunehmend spielerische keramische Arbeiten. Es entsteht ein persönliches Picasso-Bild, das ganz ohne Devotionalien auskommt.

Dem biografischen Ansatz gemäß hat man in Malaga ein naheliegendes, wirkungsvolles Ordnungsprinzip gewählt: die chronologische Präsentation orientiert sich an den verschiedenen Frauen in seinem Leben. So beginnt der Rundgang bescheiden mit dem Bild einer jungen Frau in Mantilla, das Picasso 1894 als Dreizehnjähriger in La Coruña malte und das lange Zeit für ein Porträt seiner Schwester Lola gehalten wurde. Die Komposition ähnelt dem Porträt seiner Mutter, das in Barcelona zu sehen ist.

Schon im zweiten Saal jedoch gewinnt der Rundgang an Schwung: Er ist Olga Kokhlova gewidmet, der russischen Tänzerin, die Picasso 1917 in Paris traf und bald darauf heiratete. Sie ist die Großmutter des heutigen Stifters Bernard und soll 2005 im Zentrum einer Sonderausstellung stehen. Picasso malt sie 1917 als neoklassische Schönheit in andalusischer Mantilla – es handelt sich um die Tischdecke eines Freundes. In den folgenden Jahren zeigt er sie als stolze Mutter. Ihr Sohn Paul, der Vater von Bernard, posiert als schreiender, schon kubistisch verfremdeter Harlekin oder schaut unter weißem Hut altklug in die Welt.

Es sind diese unmittelbar mit der Familiengeschichte der Stifter verknüpften Frühwerke, die am meisten berühren. Doch schon für Marie-Thérèse Walter und Dora Maar wandelt sich die Palette: Leuchtende, unvermischte Farbflecken, expressive Züge, schwungvolle Linien – Bilder von erstaunlicher Frische. In den 40er Jahren folgen Porträts von Francoise Gilot und zwei Kinderbilder von Paloma. Die späten Werke bis hin zum letzten Bild vom 22. Mai 1972 schließlich fokussieren immer mehr das Thema Familie, konzentrieren sich um die Gruppe Vater/Mutter/Kind.

Bis ins Spätwerk auch lassen sich die Spuren verfolgen, die Malaga hinterlassen hat: Tauben erinnern an das Lieblingsmotiv des Vaters, ein Pferdeschädel, ein Matador an die Stierkämpfe, wie Picasso sie erlebt hat. Auch wenn es in dem neuen Museum keine Bilder gibt, die tatsächlich in Malaga entstanden sind: mit der Behauptung, Picasso sei seiner Geburtsstadt Zeit seines Lebens verbunden geblieben, haben nicht nur die glücklichen Stadtväter recht. Ein großer Kreis hat sich geschlossen.

Malaga, Palacio de Buenavista, täglich 10 bis 18 Uhr. Eintritt 8 Euro. Informationen unter www.mpicassom.org .

Christina Tilmann

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