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Kultur: Die glorreichen Neun

Ein guter Jahrgang: 1906 wurden neun große Filmregisseure geboren. John Huston, der heute 100 würde, gehört dazu

Vielleicht wird, nach einem Sommer wie diesem, der Wein des Jahrgangs 2006 ein veritabler Jahrhundertwein. Der Jahrgang 1906 jedenfalls hat uns eine Trockenbeerenauslese des Kinos beschert. Es gibt Launen der Natur, die zu schierer Ästhetik werden: Mindestens neun einzigartige Filmregisseure hat sie vor hundert Jahren der Welt geschenkt, exakt zehn Jahre nach der Geburt des Kinos. Beim Wein weiß man bereits, wenn die Trauben reifen, ob er uns berauschen wird; im Kino dauert es ein bisschen länger.

Heute würde John Huston, einer der glorreichen Neun des Weltkinos, hundert Jahre alt. Wie seine Jahrgangsgenossen Billy Wilder und Roberto Rossellini, Luchino Visconti und Anthony Mann, Carol Reed und Wolfgang Staudte, Jacques Becker und Carol Reed war John Huston vom Filmemachen besessen. Und so hat er neben Meisterwerken manch Mittelmäßiges gedreht, in dem zwar keine Handschrift mehr, aber immer noch großes Handwerk zu erkennen war. Dass ihm die Kraft des Genialen geblieben war, bewies er nach Jahren der Üblichkeiten mit dem Billigfilm „Fat City“, einem finsteren Boxerdrama, und mit „The Dead“ nach einer Erzählung von James Joyce. Diese Hymne auf sein Traumland Irland und auf das Leben inszenierte der gelähmte Sterbenskranke vom Rollstuhl aus, mit Schläuchen und Kabeln an eine ganze Batterie von lebensverlängernden Apparaten gefesselt. Es war ein Film wie ein Vermächtnis, dem Tode abgerungen.

Der Sohn des Schauspielers Walter Huston war ein Abenteurer. Er hat geboxt (wie Burt Lancaster), hat als „Amerikaner in Paris“ gemalt (wie Gene Kelly im Film von Vincente Minnelli) und in London als Straßensänger getingelt. Er hatte eine Grundausbildung in Schauspielerei und schrieb Drehbücher für Wyler, Litvak und Walsh. Bei dessen „High Sierra“ lernte er Humphrey Bogart kennen, der fünf Mal vor Hustons Kamera stand. Ihr erster gemeinsamer Film war Hustons Premiere und eine Sensation: „The Maltese Falcon“ (Die Spur des Falken), der 1941 entstand, im Jahr von „Citizen Kane“.

Doch während der Erstling des jungen Genies Orson Welles bis zu dessen Tod sein bester Film blieb, hat Huston nach seinem Debüt mit Bogart als knallhartem, zynischem, gegen seine Gefühle unerbittlichen Detektiv Sam Spade, das die Serie des film noir begründete, noch mehrere beste Filme gemacht. Den Goldschürferfilm „Der Schatz der Sierra Madre“, in dem auch Vater Walter Huston mitspielte, „Key Largo“, „The Asphalt Jungle“, „The Red Badge of Courage“. Und nach „The African Queen“, in dem er das Raubein Bogart und die altjüngferliche Methodistin Katharine Hepburn auf einer abenteuerlichen Bootsfahrt durch den Dschungel zusammenführte, drehte er noch „Moby Dick“, den tödlichen Kampf des Walfängers Ahab mit dem gigantischen Weißen Wal, nicht zu vergessen „The Misfits“, mit Marilyn Monroe an der Seite des alternden Pferdefängers Clark Gable.

Er war ein Männerfilm-Regisseur und verstand sich auf Frauen, besonders auf die von der komplizierteren Sorte. Er drehte ganz auf Action gestimmte düstere Filme ohne Hoffung und brachte in subtilen, kammerspielartigen Szenen die Gefühle zum Schmelzen. Einige der besten Schwarz-Weiß-Filme stammen von ihm, während „Moulin Rouge“ in den Farben von Toulouse-Lautrec strahlt. Er konnte wie kaum ein anderer mit Schauspielern umgehen, weil er selbst einer blieb und in drei Dutzend Filmen, darunter auch in eigenen, kleinere Rollen übernahm. Bis ihn Roman Polanski in „Chinatown“ als den zeigte, der er geworden war: als Patriarchen. Der war er auch für seine Tochter Anjelica Huston, die er in einige Filme mitnahm, zuletzt in „The Dead“.

Zwölf Mal war John Huston für den Oscar nominiert und bekam ihn nur einmal, für das Drehbuch für „Der Schatz der Sierra Madre“. Beliebt war er kaum, weil es ihm nicht gelingen konnte, seine hohe Intelligenz vor Hollywood zu verstecken, er, dieser Ur-Amerikaner, der doch so europäisch wirkte. Kaum bekannt sind die Dokumentarfilme, die er während des Kriegs im Pazifik und in Europa drehte, darunter „Let There Be Light“ (Es werde Licht). Die nichts beschönigende Darstellung der durch den Krieg psychisch schwer gestörten amerikanischen Soldaten gefiel den Auftraggebern von der US-Army so wenig, dass der Film, 1945/46 gedreht, im Archiv verschwand, bis ihn fast 40 Jahre später eine Fernsehgesellschaft aus den Regalen holte.

Sattelfest war er in allen Genres, der ehemalige Kavallerieoffizier in Mexiko. Er selbst sehe in seinem Werk keine Kontinuität von Film zu Film, sagte er einmal, und: „Ich versuche erst gar nicht, herauszukriegen, was Millionen Menschen lieben. Es ist schwer genug, zu wissen, was ich selber liebe.“

Heute also würde John Huston hundert. Andere hatten in diesem Jahr ihr Jubiläum bereits, Roberto Rossellini, Billy Wilder und Anthony Mann. Fünf sind noch auf der Zielgeraden: Am kommenden Mittwoch ist Wolfgang Staudte an der Reihe, der deutsche Filmemacher der ersten Stunde („Die Mörder sind unter uns“) und unglückliche pazifistische Wanderer von Ost nach West. Ihm folgt am 15. September Jacques Becker, der nur noch selten genannt und allenfalls mit seinem Gangster- und Freundschaftsdrama „Wenn es Nacht wird in Paris“ bekannt ist.

Der November gehört dann Luchino Visconti (2. 11.), neben Rossellini („Rom, offene Stadt“) einer der Begründer des Neorealismus („La terra trema“) und Maestro grandioser Operninszenierungen, den es zu opernhaft opulenten Filmwerken zog wie in „Der Leopard“. Bevor das Jahr zu Ende geht, ist am 5. Dezember Otto Preminger zu würdigen, der Demokrat, der, oft sein eigener Produzent, der amerikanischen Gesellschaft immer wieder ihr kritisches Horoskop ausfertigte („Der Mann mit dem goldenen Arm“). Und am 30. Dezember würde Sir Carol Reed hundert, sein Wiener Jahrhundertfilm „Der dritte Mann“ (mit einem unvergesslichen Orson Welles) ist dann schon 57 Jahre alt.

Sie alle, so unverwechselbar ihre Handschrift ist, sind vom 20. Jahrhundert geprägt. Ihre Filme sind nicht nur Zeugnisse, sondern auch Interpretationen der Geschichte, ob Rossellini mit „Deutschland im Jahr Null“, Wilder mit seinen Berlin-Filmen „A Foreign Affair“ und „Eins, zwei, drei“, Staudte mit dem „Untertan“, „Rotation“ und „Kirmes“ oder Visconti mit seiner deutschen Trilogie. Unverzichtbar für jeden, der wissen will, welche Sorte Jahrhundert das zwanzigste war, sind auch die Filme von Anthony Mann. Anders als bei den anderen ist in ihnen zwar nicht ausdrücklich von der Gegenwart die Rede, aber seine Western („Raw Deal“, „Border Incident“, „Winchester 73“, „Devil’s Doorway“) leben doch von einer unausweichlich tödlichen Gewalt. Im Unterschied zu den Western von Howard Hawks und John Ford sind Manns Filme ohne jede Hoffnung, ohne Humor. Sie atmen das Klima des Existenzialismus. Es sind schwarze Western, und wie Hustons Noir-Filme sind auch sie Ausdruck und Zeugnisse eines furchtbaren Jahrhunderts.

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