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Kultur: Die Götter müssen beglückt sein

"Das ist das krasse Gegenteil von geistlicher Musik, bei der man eine Haselnuß zwischen den Arschbacken halten muß." So steht es tatsächlich wortwörtlich im Programmheft der Salzburger Festspiele.

"Das ist das krasse Gegenteil von geistlicher Musik, bei der man eine Haselnuß zwischen den Arschbacken halten muß." So steht es tatsächlich wortwörtlich im Programmheft der Salzburger Festspiele. Das Zitat ist von Sir Simon Rattle, und der Dirigent spricht dabei nicht etwa über Puccini oder die Rolling Stones, sondern über Jean Philippe Rameau. Jenen französischen Barockkomponisten, der für seine letzte Oper "Les Boréades" so "ungeheuer sexy Musik" geschrieben hat. Findet Rattle. Trotzdem hat sich über 200 Jahre lang keiner für die Partitur interessiert. Selbst der Komponist hat sein Werk nie auf der Bühne gesehen: Schon begonnene Proben wurden 1763 abgebrochen, wenig später starb Rameau. Erst 1974 holte John Eliot Gardiner die Uraufführung der Oper nach. Damals saß der 20jährige Rattle im Publikum und war sofort vom "Rameau-Boréades-Virus" infiziert.25 Jahre später, bei den diesjährigen Salzburger Pfingstfestspielen kam nun Rattles Version der jazzigsten Oper vor Duke Ellington heraus. Seit Montag ist die Produktion nun im Rahmen des edlen Sommerfestivals wieder im Kleinen Festspielhaus zu sehen, und es wurde ein erneuter Triumph für den designierten Chefdirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters. Denn Rattles flotte Sprüche über Rameau sind keine Ranschmeiße ans Nachwuchspublikum, sondern die unverblümte Beschreibung dessen, was da tatsächlich zu hören ist. "Die Regeln sind eigentlich ganz simpel", erklärt der Dirigent seine Herangehensweise an Rameaus Personalstil, "aber man muß einen Instinkt für den Swing der Musik entwickeln". Und genau das hat er mit der ihm eigenen Mischung aus Akribie und Lockerheit getan: Vom ersten Takt steht das Orchestra of the Age of Enlightenment unter Strom, daß die Funken sprühen. Jede Phrase, jede Bewegung hat Spannung und Drive, atmet die Kraft lebendiger Musik, die vor 236 Jahren geschrieben wurde. Hier weiß jeder, was er will und wie er es erreichen kann.Rattle animierte die Musiker dazu, sich dem "Swing" der Musik hinzugeben, was ihnen gelöingt: Von der fulminanten Sturmmusik bis zu den feinsten Flüstereien der Liebesduette klingt hier nichts nach Museum. Manchmal durchzuckt einen sogar ein "Darf es das?", wenn Rattle eine Instrumentengruppe besonders scharf hervortreten läßt oder mit dem ganzen Orchester Klangexplosionen provoziert - aber natürlich darf er das, denn keine Schärfung, keine Überzeichnung wirkt aufgesetzt, sondern erschließt sich logisch im Gesamtzusammenhang!Diese Aufführung ist aber auch deshalb etwas so Außergewöhnliches, weil Dirigent und Regieteam auf derselben Linie arbeiten, so daß sich das Geschehen auf der Bühne und im Orchestergraben gegenseitig trägt, verstärkt - und damit den Spaß der Zuschauer potenziert. Ursel und Karl-Ernst Herrmann haben versucht, sich vom Verhaltenskodex des französischen Königshofs und seiner Widerspiegelung im zeitgenössischen Musiktheater inspirieren zu lassen, um dann etwas ganz Zeitgemäßes daraus zu machen. Darum spielen die erlesenen Kostüme ebenso mit barocken Elementen wie mit Versatzstücken des aktuellen 70er-Jahre-Revivals. Es ist dieser Charme vorgetäuschter Naivität, der es heutigen Hörern ermöglicht, dem mythologisch-aufklärerischen Götter-Menschen-Konflikt des Librettos aus angenehmer innerer Distanz zu folgen. Die Geschichte geht so: Die Königin Alphisa soll sich einen Gemahl wählen, der aber dem Geschlecht des Gottes Boreas entstammen muß. Da sie jedoch Abaris, einen Jüngling unbekannter Herkunft, liebt, will sie auf den Thron verzichten. Doch Boreas entführt die Königin, so daß schließlich Apoll eingreifen muß, um klarzustellen, daß er Abaris zusammen mit einer Boreas-Nymphe zeugte, und einem gesetzestreuen Happy-End mithin nichts im Wege steht. Die Herrmanns haben die Story als Divertissement für eine adlige Gesellschaft in einem silberglänzenden Barockpavillon inszeniert, von dessen Galerie aus die Götter das neckische Treiben der Menschlein verfolgen können.Das streift auch mal die Grenze zum Edelkitsch, wird aber immer kompensiert durch ein Sängerensemble, das über jeden interpretatorischen Zweifel erhaben ist. Barbara Bonney als Alphise und Heidi Granth Murphyals Amor begeistern mit königlicher Koloraturkunst, die aber immer mehr als nur Stimmtechnik bietet. Charles Workman stattet den Abaris mit so rührender Hilflosigkeit aus, daß er sofort zur Identifikationfigur des Abends wird, gegen den seine Nebenbuhler Jeffrey Francis und Russell Braun bei aller vokaler Potenz einfach keine Chance haben. Dazu singen die European Voices mit betörendem Schönklang und chargieren als Hofschranzen lustvoll mit den Tänzern um die Wette. Und mittendrin waltet Sir Simon Rattle, der klügste Lustarbeiter seiner Dirigentengeneration, in Hemd und bunter Barockweste als Maitre de Plaîsir. Da kommt Vorfreude auf den Herbst 2002 auf: Dann werden die Berliner und ihre Philharmoniker regelmäßig das Vergnügen mit ihm haben. Schöne Aussichten.

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