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Kultur: Die graue Stunde

Michael Schmidt hat das Banale als Bildsprache entdeckt. Mit ihm eröffnet der Monat der Fotografie

Der Journalismus hat ihn enttäuscht, sagt Michael Schmidt auf einem Drehstuhl sitzend und schwingt Richtung Wand. Der Mann mit dem Gesicht, das aussieht wie ein zerknülltest Stück Papier, und dem schroffen Tonfall des gebürtigen Berliners redet über Bilder. Die Reportagefotografie sei „überholt“, fährt er mürrisch fort, „der Ansatz, die Welt illustrativ, ohne innere Beteiligung zu erfassen, ist gescheitert“. Als er selbst einmal für die Medien arbeitete, kapierte er auch, warum. Für ein großes Wochenmagazin porträtierte er den Chef von Sony. Als er den Bilderbogen abgab, fragte man ihn, warum der Mann nicht lache. Weil er nicht gelacht hat, sagte Schmidt. Dann müsse er ihn eben zum Lachen bringen, lautete der Rat. Und da ahnte Schmidt, der Autodidakt, dass er seine Medienkarriere abhaken kann.

Der eigensinnige Fotokünstler suchte stattdessen, das war 1975, den Szene-Galeristen Rudolf Springer auf. Der Avantgarde-Spezialist blätterte seine Arbeiten durch und sah: nichts. Kein Drama, kein Pathos, keine Sehnsucht. „So viel Langeweile muss Methode haben“, entschied Springer und stellte Schmidt aus. Heute hängen die Schwarzweiß-Abzüge des gebürtigen Berliners, der 1945 zwischen zwei Bombennächten am Oranienplatz zur Welt kam, in führenden deutschen Museen. Das Museum of Modern Art in Manhattan widmete ihm eine Einzelausstellung. Die „New York Times“ adelte seine Fotos als „resolutely difficult“, entschieden schwierig. Zuletzt wurde sein „EIN-HEIT“-Projekt bei der Berlin Biennale präsentiert und wird heute auch den Monat der Fotografie in der Berlinischen Galerie eröffnen. Obwohl die Arbeit schon zehn Jahre alt ist, hat sie nichts von ihrer verstörenden Kraft verloren. In langen Reihen hängen Porträts von Nazi- Größen und Nachkriegsbürgern neben Ansichten von Häuserfronten und Tapeten sowie grobkörnige Fahndungsfotos und Zeitungsbildern, die Schmidt abfotografiert hat. Fundstücke aus dem Herz eines Landes, das kein Herz hat. Ein freudloses, geschichtssattes Panorama des Grauens.

Grau, das ist von jeher Schmidts Belichtungstemperatur gewesen. Als der „große spröde Widerpart zu den Bechers und ihren Schülern“, als der Janos Frecot ihn sieht, ist ihm die Anerkennung lange versagt geblieben. Zu sperrig ist sein Werk, das er in langwierigen, zähen Arbeitsphasen immer wieder um einen Themenkomplex erweitert. Ob „Berlin nach 45“ (1980) „Waffenruhe“ (1988), „Frauen“ (1999) oder „Irgendwo“ (2005), immer arbeitet er sich durch eine in Graustufen erstarrte Deutschland-Tristesse, aus der Reklametafeln, Werbesprüche und Graffiti-Botschaften wie überhaupt alles Zeichenhafte verband sind. Man sieht das, was von der Zivilisation übrig bleibt, wenn sie sich selbst nicht anpreisen darf. Einfamilienhäuser werden kubistisch verschachtelte Bunker, Brandmauern türmen sich über verwilderte Brachflächen, Menschen wenden sich verlegen ab oder stieren ins Leere. „EIN-HEIT“ markiert, obgleich keineswegs das letzte Unternehmen, einen Endpunkt. Weiter kann man die Skepsis gegenüber dem Bild und seiner historischen Fixierung nicht treiben.

Seit 1965 verfolgt Schmidt seinen einsamen Weg. Damals war der kleine, kräftige Mann, aus dem zuweilen ein rostiges Lachen hervorbricht, noch Polizist. Er war das aus Verlegenheit geworden. Die Schule und eine Lehre als Anstreicher hatte er abgebrochen, die Prüfung zum Drucker nicht bestanden. Das Erste, in dass der Sohn eines Lampenschirmfabrikanten sich verbiss, war eine Exacta Varex-Kamera, die ihn drei Monatsgehälter kostete. Früh schwebte dem Hauptwachtmeister, Dienststelle Schlesisches Tor, eine „aufs Individuum zurückgeworfene Fotografie“ vor. Das machte ihn geistig zu einem Verbündeten der 68er, auch wenn er formal auf der falschen Seite stand. Ein Polizist, stehe vor allem „für Gerechtigkeit“ ein, dachte er. Das dämpfte den inneren Konflikt. „Zwischen die Fronten geriet ich erst später, als ich merkte, dass in der Fotografie alles schon gemacht worden war. Das hat meine Position und mein Selbstvertrauen erschüttert.“

1976 gründete der streitlustige Mann an der Kreuzberger Volkshochschule die „Werkstatt für Photographie“ und wurde zum Lehrer, Inspirator und Ausstellungsmacher. Am ersten Tag, erinnert er sich amüsiert, schlängelten sich die Leute bis auf die Straße, um sich für die Kurse anzumelden. Aufnahmebedingungen: keine. Trotz eklatanten Geldmangels holte er Koryphäen wie Robert Frank als Dozenten an das Kreuzberger Institut und setzte sich mit den Werken von W. Eugene Smith oder Larry Clark auseinander, „den Amerikanern“, wie er sagt, die in Deutschland damals wenig Beachtung fanden mit ihren Bilderserien über die erdabgewandten Seiten der Gesellschaft. „Da wurde ein journalistischer Stil erkennbar, auf dessen Unerbittlichkeit man hätte aufbauen können“, sagt Schmidt.

Auch er selbst gab das Bemühen auf. Im Jahr seines Ausscheidens aus dem Polizeidienst 1973, war mit „Berlin Kreuzberg“ sein erstes Buch erschienen. Für Schmidt ein Scheideweg. Er schloss mit dem Chronisten in sich ab – auch wenn er seiner unmittelbaren Umgebung verhaftet bleiben sollte. „Meine Großmutter sagte immer: Mach zuerst mal vor Deiner Haustür sauber.“ Aus der Beschäftigung mit dem Naheliegenden entwickelte er ein immer rigoroseres ästhetisches Vokabular. Als „Dokumentarist der neudeutschen Ungemütlichkeit“ („Zeit-Magazin“), hat Schmidt eine Auge für die Banalität der Lebensumstände entwickelt, die ein einzelnes Foto nicht erfassen kann. Indem er Bilder aneinander reiht, aus denen jegliche Aktion, jegliches Pathos der Information gewichen ist, soll ein drittes, unsichtbares Bild „erklingen“. Wir nennen es Sehnsucht.

Monat der Fotografie, Eröffnung heute in der Berlinischen Galerie (Alte Jakobstr. 124-128, Kreuzberg, 19 Uhr) mit Michael Schmidt „EIN-HEIT“ und Sasha Stone „Berlin in Bildern“. Galerie Nordenhake (Zimmerstr. 88-91, Kreuzberg) zeigt Ausschnitte aus Schmidts Gesamtwerk. Informationen zum Fotografie-Festival, das bis 11. November an 85 Orten über 150 Ausstellungen zeigt, unter: www.mdf-berlin.de.

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