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Kultur: Die grausame Geliebte

Warum es ein Unglück ist, ein Grieche zu sein: ein Gespräch mit dem Schriftsteller Nikos Dimou.

In Griechenland hat das berühmteste Buch des Schriftstellers Nikos Dimou seit seiner ersten Veröffentlichung 1975 bereits 30 Auflagen erlebt. Jetzt erscheint endlich auch die deutsche Übersetzung („Über das Unglück, ein Grieche zu sein“. Aus dem Griechischen von Gerhard Blümlein. Kunstmann Verlag, 80 S., 7,95 €). Vor dem Hintergrund der Kampfs der Griechen gegen die drohende Staatspleite bekommen viele Sentenzen des Buchs neue Aktualität. „Die Griechen müssen sich neu erfinden, wenn sie in der heutigen Welt überleben wollen“, schreibt Dimou im Nachwort. Die Krise strapaziert auch das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen. Die beiden Völker hadern miteinander. Griechenland sei „eine grausame Geliebte“, schreibt Dimou, der in München Philosophie studierte: „Schließ Griechenland ins Herz, und Du kriegst einen Infarkt.“

Herr Dimou, sind Sie unglücklich?

Als Grieche ja. Das ist die These dieses Buches. Ich bezeichne es als eine philosophisch-satirische Meditation über das Schicksal der Griechen. Die philosophische These des Buches ist, dass der Mensch sowieso unglücklich ist, weil er niemals alle seine Wünsche verwirklichen kann, vor allem nicht den wichtigsten: die Unsterblichkeit. Aber ein Grieche ist unglücklicher als die meisten anderen Menschen, weil für ihn die Distanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit besonders groß ist – denken Sie nur an die Spaltung zwischen der glorreichen Vergangenheit und der miserablen Gegenwart.

Womit wir bei der gegenwärtigen Misere Ihres Landes sind. „Ein Grieche lebt zweimal über seine Verhältnisse und verspricht das Dreifache von dem, was er halten kann.“ Das haben Sie vor 37 Jahren geschrieben. Die aktuelle Krise kann Sie nicht überrascht haben.

Nein, das hat sie nicht. Dieses Zitat stammt aus dem Kapitel „Die griechische Übertreibung“. Sie ist ein wichtiges Merkmal des griechischen Charakters. Diese Übertreibung befindet sich im Kern jeder Tragödie oder Komödie, denn Komödie und Tragödie sind Formen der Übertreibung. Der tragische Held versucht etwas, was nicht machbar ist, und der komische Held übertreibt ebenso. Ein Grund der Krise ist diese Übertreibung: die Lust, alles zu haben, alles zu geben, alles zu genießen, ohne zu bedenken, dass nicht alles machbar ist. Der zweite Grund: Die Griechen sind nicht rational. Sie denken mit dem Gefühl. Das macht es ihnen so schwer, diese Krise zu bewältigen.

Hat es mit der Krise zu tun, dass Ihr Buch erst jetzt, fast vier Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung, in deutscher Sprache erscheint?

Ja, so ist es. Ich bin sicher, dass man mich anklagen wird, von der Krise zu profitieren und das Ansehen der Griechen herabzusetzen. Aber ich glaube, dass es kein antigriechisches, sondern ein progriechisches Buch ist, entstanden aus Liebe zu Griechenland. Denn wirkliche Liebe bedeutet nicht zu verherrlichen, sondern kritisch zu beobachten, um seinem Land zu helfen. Ich sehe es jetzt als einen Botschafter, der den schwierigen griechischen Charakter unseren Freunden oder Feinden erklären kann.

Das Buch ist in Griechenland ein Dauerbrenner, hunderttausende Menschen haben es gelesen, aber es hat sicher nicht allen gefallen.

Viele Griechen betrachten es als ein humoristisches Buch. Aber das ist eine Form der Abwehr. In Wirklichkeit ist das Buch nicht zum Lachen. Es ist ein satirisches Buch. Humor macht gute Laune. Aber Satire ist bitter. Für einen Griechen ist dieses Buch im Grunde eine Qual. Denn es ist keine lustige Sammlung von Aphorismen über das Zukurzkommen der Griechen, sondern ein bitteres Nachdenken über ihr tragisches Schicksal, gespalten zu sein zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Norden und Süden, Osten und Westen.

Ihr Buch handelt auch von der Last des antiken Erbes, von der, wie Sie schreiben, „unmenschlichen Vollkommenheit“ der Vorfahren. Liegt dort eine der Wurzeln der heutigen Probleme?

Jedenfalls liegt in dieser schwer erträglichen Last der Antike eine Quelle unseres Minderwertigkeitskomplexes. Eine andere Quelle ist der unbefriedigende Vergleich mit den „höher entwickelten“ Zeitgenossen, mit Europa. Wann immer ein Grieche von „Europa“ spricht, schließt er Griechenland automatisch aus. Aber wenn ein Ausländer von Europa spricht, ist es undenkbar für uns, dass er Griechenland nicht mit einschließt.

Wegen der Krise wandern mehr Griechen aus als je zuvor seit den sechziger Jahren. Diesmal nicht ungebildete Arbeitskräfte,sondern Facharbeiter und Akademiker. Verliert das Land seine besten Talente?

Ich fürchte, ja. Es gibt viele junge Leute, die mit dem System der Vetternwirtschaft und der Korruption nichts zu tun haben wollen. Leider emigrieren die meisten von ihnen. Man muss ja fast ein Masochist sein, um in Griechenland zu bleiben und hier etwas bewegen zu wollen.

Sie kennen die Deutschen, Sie haben in München studiert. Was läuft verkehrt im deutsch-griechischen Verhältnis?

Beide Völker, Deutsche und Griechen, zeigen in diesem Konflikt ihre schlechteste Seite. Beide haben in einigen Sachen recht. Aber dieses Recht wird in einer Weise geäußert, dass es zum Unrecht wird. Der Deutsche sagt mit erhobenem Zeigefinger: Der Grieche ist faul, geht mit fünfzig in Rente und macht zu viel Ferien. Wahr ist: Es gab auch solche Griechen. Aber wer behauptet, dass die Mehrheit so gelebt hat, der übertreibt. Der Grieche reagiert genauso maßlos: Er empfindet jede Kritik als Zumutung.

Wir erleben jetzt in Athen Straßenschlachten und brennende Gebäude. Sind das die Vorboten einer sozialen Explosion?

Könnte sein. Aber die Wurzeln liegen tiefer. In den Jahren seit dem Ende der Obristendiktatur wurde von der Linken eine Art revolutionäre Kultur gepflegt, eine Kultur der Gesetzlosigkeit, die sich in der Gesellschaft weit verbreitet hat. Das beginnt schon damit, dass man sich nicht an die Verkehrsregeln hält und glaubt, einfach Steuern hinterziehen zu dürfen.

Von der Krise profitieren bisher vor allem linksextreme Parteien.

Die linksextremen Parteien bekommen Zulauf, weil sie gegen das Spar- und Reformprogramm sind – übrigens auch gegen Europa. Wenn Sie diese Parteien fragen, wofür sie sind, bekommen Sie entweder einen puren Stalinismus serviert, der aus den dreißiger Jahren stammt, oder eine anarchistische Ideologie.

Wie wird die griechische Tragödie, die wir gerade erleben, enden?

Die Regierung von Giorgos Papandreou hat alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Dieser Mann war ein Unglück für Griechenland. Die nächste Wahl wird wahrscheinlich Antonis Samaras gewinnen, der die im Grunde einzige noch übrig gebliebene Volkspartei führt, die konservative Nea Dimokratia. Ich hoffe, Samaras gelingt es, Griechenland auf einen Kurs der Mitte zu bringen

Kann Deutschland dabei helfen?

Das ist schwer. Denn Deutschland hat übertrieben auf die griechischen Sünden reagiert, nicht nur in der Politik, die sich diskreter und diplomatischer hätte verhalten müssen, sondern auch in großen Teilen der Medien, mit Schlagzeilen wie „Schmeißt die Pleite-Griechen raus“.

Das kommt in Griechenland natürlich nicht gut an.

Die Griechen suchen immer einen Sündenbock. Als ich ein Kind war, waren das die Engländer. Dann waren die Amerikaner an allem schuld. Jetzt sind die Deutschen das rote Tuch für die Griechen.

Das Gespräch führte Gerd Höhler.

Nikos Dimou, 1935 in Athen geboren, hat Philosophie studiert, eine Werbeagentur

gegründet und eine Talkshow moderiert. Heute ist er freier Autor und Kolumnist für das Magazin „LiFo“.

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