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Kultur: Die Grenzen der Beweglichkeit

Große Sprünge, kleine Stürze: Halbzeit beim Berliner Festival „Tanz im August“

Oft hat man den Eindruck, als wolle der Tanz sein Scheitern ausstellen, als demonstrierten die Choreografen die Sackgassen der Darstellung, als löschte sich der Tanz selbst aus, sobald er aufgeführt wird. Das Gefühl des Unmöglichen durchzieht das diesjährige internationale Festival „Tanz im August“ in Berlin.

Das Unbehagen hat sich inzwischen über die Kontinentalgrenzen ausgebreitet. In den Sophiensälen stellte die kongolesische Formation „Les Studios Kabako“ um Faustin Linyekulo mit „Triptyque sans titre“ die Frage nach der kulturellen Eigenständigkeit Afrikas. Die fünf Tänzer aus Kinshasa sind zu Beginn klar geschieden. Allegorisch stehen sie für den Einfluss des Westens: Zwei tragen Freizeitkleidung, wie man sie in jedem H&M-Store kaufen kann, zwei andere knöchellange Burnusse aus grobem Stoff. Wer aber glaubt, jetzt einem Kulturkampf zwischen dem Eigenen und dem Fremden beizuwohnen, sieht sich getäuscht.

Afrikanische Elemente kommen in dem bitteren Stück nur in den Zwischenschnitten vor. Bei abgedunkelter Bühne findet sich die kleine Schar für wenige Augenblicke zu einem afrikanischen Tanz zusammen. Ansonsten wird alles vom Dröhnen der Globalisierung überlagert: Singen die fünf afrikanische Lieder, hört man davon nichts, weil der grunzende Elektro-Sound von Joachim Montessuis niemanden zur Sprache kommen lässt. Die einstündige Performance endete mit dem resignierten Bekenntnis, dass ihre zentralen Anliegen nicht darstellbar seien. In „Triptyque“ wird selbst die moralische Anklage des Westens unmöglich. Zuletzt kommt Linyekulo nach vorn und sagt: „Ich hatte eine Geschichte zu erzählen, aber ich habe alles vergessen. Es tut mir leid.“

Auch die kanadische Glamour-Gruppe „La La La Human Steps“ zeigt die dunklen Farben der Melancholie (der erste Gastspielabend im Haus der Berliner Festspiele fiel krankheitsbedingt aus). In ihrer Produktion „Amelia“, uraufgeführt vorigen Herbst in Prag, findet die tänzerische Utopie der Schwerelosigkeit ihren Ausdruck im Diskontinuierlichen. Die Tänzer scheinen kein Gewicht zu haben. Sie haben auch keinen Raum. Immer wieder verschluckt sie das Dunkel. Aber wehe, wenn sie losgelassen! Im mal bleiernen, mal eiskalten, immer scharf konturierten und überfokussiertem Licht entfacht sich ein Sperrfeuer aus Bewegung. Die neun Tänzer sausen wie Geschosse durch den Raum, die Frauen, und einmal auch ein Mann, auf stählernen Spitzenschuhen, deren Klacken kurzzeitig das einzige Geräusch ist.

Tanz, so zeigt Choreograf Edouard Lock, kann auch mit dem gefälligen Material der klassischen Linien und ihrem Subtext des Unterhaltsamen sehr wohl zur ästhetischen Herausforderung werden. Allerdings ist kaum vorstellbar, wie sich diese Selbstaufhebung des Tanzes in wahnhafter Virtuosität noch steigern könnte.

Die radikale Gegenposition bezog der in Berlin tätige Spanier Juan Domínguez in seinem Stück über das Verschwinden der Aufführung. Er bewegte sich fast gar nicht, sondern legte im kleinen Saal des Podewil dem Publikum von „All Good Spies Are My Age“ bedruckte Postkarten vor, auf denen alles verzeichnet war, was mit dem Stück zu tun hatte. Ein Tanzabend also, in dem nur gelesen wird, und zwar im Rhythmus, den der Künstler bestimmt. Auf der vorletzten Karte steht dann: „Let The Show Begin“. Der Künstler löscht das Licht, legt die allerletzte Karte hin und verlässt den Saal. Erst als die Tür aufgeht, kann man lesen: „The End“. Das Ende der Reflexion ist der Anfang der Show ist das Ende der Aufführung. So kompliziert und selbstverloren kann Tanz in der Gesellschaft des Spektakels gedacht werden.

Derlei selbstbezügliche Schwermut schlug indessen um in Entsetzen beim bisherigen Tiefpunkt des Festivalprogramms. Der besonders in Berlin profilierte Künstler Cesc Gelabert bewegte sich ausgerechnet auf seiner Stammbühne, dem Hebbel-Theater, ins Aus. Als glänzender Solist in der Rekonstruktion von Gerhard Bohners „Im (Goldenen) Schnitt“ sowie in seiner eigenen Arbeit „Preludis“ international gefeiert, zeigte Gelabert diesmal ein missglücktes Doppelprogramm mit seiner Compagnie aus Barcelona.

Schon der erste Teil „8421 …“ zu einem Satz für Streichquartett von Schostakowitsch zeigte das Ensemble mit Gesten und Gebärden alberner Schwerblütigkeit. Geballte Fäuste, schreckensweit aufgerissene Augen, Münder in stummem Schrei – kein expressionistisches Klischee wurde ausgelassen. Noch schlimmer kam es im zweiten Teil, wo das triefend Seelenvolle ersetzt wurde durch simulierte Salsa-Fröhlichkeit. In „Viene regando las flores desde La Habana a Morón“ bildeten vier Musiker aus Kuba den Hintergrund für ein kitschiges Schautanzen. Mit seinen Manieriertheiten erinnerte „Viene regando ...“ an Tanzsport-Veranstaltungen im Latin-Fach, wo die Becken so frenetisch geschwungen werden, dass jede Erotik zerstäubt.

Der Abend war ein Dokument der künstlerischen und institutionellen Beliebigkeit. Gelabert und auch ein Festival, das dieses Werk präsentiert, geben einen Vorgeschmack, was aus dem Tanz werden kann, wenn er sich unreflektiert seinen so genannten Traditionen hingibt. Denn es sind falsch verstandener Expressionismus ebenso wie pseudo-orgiastische „Lebensfreude“, die dem Tanz immer wieder und zu dessen Schaden und Nachteil als Etiketten aufgeklebt werden. Damit ist niemandem gedient. Am wenigsten den Künstlern.

La La La Human Steps noch einmal heute, 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Franz Anton Cramer

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