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Kultur: Die Grünen: Bye-Bye, Basis!

Es sei ratsam, hat Harald Schmidt einmal bemerkt, auf dem Weg nach oben zu allen Leuten freundlich zu sein. Denn wenn es wieder nach unten geht, begegnet man ihnen ein zweites Mal.

Es sei ratsam, hat Harald Schmidt einmal bemerkt, auf dem Weg nach oben zu allen Leuten freundlich zu sein. Denn wenn es wieder nach unten geht, begegnet man ihnen ein zweites Mal. Was Schmidt, der alte Zyniker, natürlich verschweigt (oder als bekannt voraussetzt), ist die Tatsache, dass Freundlichkeit alles andere als geeignet ist, um an die Macht zu kommen - und sich dort zu halten.

Das erleben auch die Grünen dieser Tage. Endlich ganz oben, treffen sie ihre einstigen Steigbügelhalter wieder, die den Aufstieg von einer Anti-AKW-Bewegung zur Regierungspartei durch ihren Zorn getragen haben. Aber diesmal richtet sich ihr Unmut gegen die Grünen selbst. Fischer heißt die Bombardierung des Irak durch die USA gut, Trittin genehmigt Atomtransporte und Künast rettet die Fleischwirtschaft. Die Öko-Partei der Friedensbewegten ist zu einer Ordnungsmacht geworden. Sie rechtfertigt fragwürdige Militärschläge mit diplomatischer Zurückhaltung oder beugt sich der Atomlobby, mit der sie paktieren muss, wenn sie ihr Ausstiegsversprechen einlösen will. Die Grünen haben sich zu Tode gesiegt.

Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum Joschka Fischer, trotz der jüngsten Debatte um seine Biografie, der Star dieser Regierung ist. In seinem Blick liegt etwas von der melancholischen Trauer eines Machtmenschen, der sich mit dem Ende seines Aufstiegs bereits abgefunden hat. In seinem spätbürgerlichen Karriereweg vom linksradikalen Häuserkämpfer zum Regierungsmanager schwingen die Skrupel eines Einzelgängers mit, der keine Freunde, sondern Bündnispartner sucht. Das könnten viele in der Vergangenheit falsch verstanden haben. Zumal jene, die sich von den Grünen einen anderen Stil, einen offeneren Umgang mit politischen Sachverhalten erhofft hatten. Als einer parlamentarischen Kraft, die den gesunden Menschenverstand gegen eine Politik der Sachzwänge setzte, konnten sich die Grünen immer einer Unterstützung jenseits der Stammwähler sicher sein. "Atomkraft-nein-Danke"-Blockaden wurden von der Bevölkerung getragen, nicht von Parteianhängern. Diese Solidarität bricht jetzt zusammen.

Mit Schrecken registrieren die Parteistrategen, dass sich in Niedersachsen heftiger Widerstand gegen die Castor-Transporte formiert. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, warnte die Künast-Nachfolgerin Claudia Roth, dass "wir nicht mehr Teil der Bewegung sind". Doch Parteitagsbeschlüsse sind den Atomkraftgegnern im Wendland ziemlich egal, wenn sie den alten Wahnsinn nur mit neuen Argumenten fortsetzen. Und so könnte es zu der unangenehmen Situation kommen, dass Wasserwerfer und Räumfahrzeuge auf Anordnung der rot-grünen Regierung gegen die eigene grüne Basis vorgehen.

Die alten Weggefährten, die den Widerstand gegen den Bau einer Nuklearfabrik, einer Giftmülldeponie oder gegen eine Flughafenerweiterung in ihrer Nachbarschaft partout nicht aufgeben wollen, argwöhnen jetzt, dass die Politstars in Berlin sich ihrer Ängste nur bedient haben. Sie sehen sich als Fußtruppen einer linksintellektuellen Elite, benutzt, um die konservative Regierung zu stürzen. Ein Vorwurf, der wohl unweigerlich erhoben wird, wenn die Entfremdung einsetzt. Doch berührt er einen wunden Punkt: Den Grünen können die vitalen Interessen der Bürgerinitiativen nicht gleichgültig sein. Sie haben bislang garantiert, dass sich die Partei über Inhalte definierte. Die Grünen waren dank des Bürgerprotests ein Auffangbecken für jene, die sich vom politischen business as usual abgestoßen fühlten, von Winzern, die die schleichende Vergiftung der Heimat nicht hinnehmen wollten, bis zu anarchistischen Studentenzirkeln. Doch was ist aus dem Traum geworden, eine politische Kraft links von der SPD zu etablieren? Mit der Ernennung von Renate Künast zur Landwirtschaftsministerin haben die Grünen jetzt sämtliche Schlüsselpositionen inne, die zur Umsetzung ihres Gesellschaftsentwurfs wichtig sind. Nicht nur können sie ihren Traum vom friedlichen Miteinander der Völker verfolgen (Fischer) und die Umwelt vor ökologischen Katastrophen bewahren (Trittin), endlich haben sie auch das Regiment über eine gesunde Ernährung errungen.

Umso tragischer, dass Künast ihr Amt unter dem Reformdruck der BSE-Krise antritt und als erstes massenhafte Tierschlachtungen verantworten muss. Denn wieder wird sichtbar, dass die einstige Reformpartei einem Schlingerkurs folgt, hinter dem selbst wohlmeinende Beobachter nur noch opportunistische Beweggründe sehen. Auch grüne Politiker wollen vor allem wiedergewählt werden. Die Parteispitze versucht dieser Tage, für ihre unpopulären Maßnahmen um Verständnis zu werben. Wir sind doch auf dem richtigen Weg, beschwichtigt sie, uns binden aber Verpflichtungen. Doch viele Menschen reagieren empfindlich auf solche pragmatisch begründeten Durchhalteparolen. Politik ist die Kunst des Möglichen. Aber sie braucht Leute, die Unmögliches wollen.

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