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Kultur: Die Heldin, die Sirene

Zum Tod der schwedischen Jahrhundert-Sopranistin Birgit Nilsson

Die Frage, warum gerade die Nordländer immer wieder so viele schwere, schwergewichtige Stimmen hervorbringen, beantwortete Birgit Nilsson, die schwedische Hochdramatische, gern mit einer Anekdote: Weil es nah am Polarkreis so wenige Menschen gebe, müsse man schon sehr laut rufen, um sich über Fjorde und Eisberge hinweg miteinander verständigen zu können.

Mit dem „lauten Rufen“ freilich ließ sich die Bauerntochter, die in ihrer Karriere 209 Mal (!) Wagners Isolde gesungen haben soll und neben Martha Mödl, Astrid Varnay und Wolfgang Windgassen als eine der Neu-Bayreuther Galionsfiguren galt, zunächst Zeit – eine Zeit, die ihrem außergewöhnlich sirenischen Organ eine lange Lebensdauer bescherte. Begonnen hatte Nilsson als lyrischer Sopran, 1946 debütierte sie in Stockholm als „Freischütz“-Agathe, sang unter Fritz Busch sogar noch die Elettra in Mozarts „Idomeneo“ und erwarb sich erst allmählich die Kondition für das dramatische Fach. Und auch wer glaubt, die Nilsson habe sich alsbald nur mehr mit den schweren (deutschen) Geschützen abgegeben, der irrt.

Vielleicht lässt sich das Phänomenale ihrer sängerischen Leistung folgendermaßen fassen: Nur weil sie immer auch Mozarts Donna Anna, Verdis Amelia, Leonora und Aida sowie Puccinis Tosca zu ihrem Repertoire zählte, war sie als „Fidelio“-Leonore, als Isolde und Brünnhilde, als Salome und Elektra, später auch als Turandot und Färberin aus „Die Frau ohne Schatten“ eine Kategorie absolut für sich. Eine Ikone. Ein Solitär. „Akustisches Adrenalin“, wie sich ein amerikanischer Kritiker einmal ausdrückte. An Birgit Nilsson ließ sich die vielbeschworene Krise des Gesangs nach 1945 so gut wie schlecht festmachen. Eine wie sie, das war frühzeitig klar, würde es nie wieder geben (das allerdings hatte man – mit Recht! – auch schon von Kirsten Flagstad behauptet). Letztlich aber war „La Nilsson“ ohnehin mit niemandem zu vergleichen.

Ein Sopran, der sich mühelos noch gegen das pastoseste Wagner- und Strauss- Orchester durchzusetzen vermochte. Eine exzeptionelle Naturbegabung. Und eine Riesenstimme: eben kein hochdramatisch forcierter Mezzo, sondern ein echter hoher Sopran. Hell, ja bisweilen sogar fast leicht in der Modulation, metallisch in seiner Durchschlagskraft, vielleicht nicht immer so farbenfroh, so biegsam und flexibel, wie man es sich gerade für das italienische Fach gewünscht hätte.

Ein Vierteljahrhundert lang setzte Nilsson Maßstäbe. Was ein Herbert von Karajan, was ein Karl Böhm an klanglicher Opulenz im Orchestergraben entwickelten, das konterte Nilsson mit „vokalem Heroismus“. Bis in die siebziger Jahre hinein feierte sie auf allen großen Opernbühnen der Welt zwischen Mailand, New York und Bayreuth rauschende Triumphe. Ihr eigentliches Bayreuth-Debüt gab sie 1953 unter Paul Hindemith in Beethovens Neunter. Nach ihrer Isolde 1957 an gleicher Stelle in einer Inszenierung von Wolfgang Wagner galt sie unangefochten als führende Wagner-Heroine. Und Nilsson vollbrachte das Kunststück, diese herausragende Stellung bis zu ihrem endgültigen Abtritt von der Bühne 1985 zu behalten, wohl auch wegen ihres wenig divenhaften Auftretens, wegen ihres Humor, ja ihrer bisweilen fast ätzenden Selbstironie. „Von meiner Fanpost heute beruht ein Großteil darauf, dass ich mit dem Sexstar Brigitte Nielsen verwechselt werde“, erklärte sie noch kurz vor ihrem 80. Geburtstag und verwies darauf, dass sie und ihre Namensvetterin „ein üppiger Brustkasten“ vereine. 1995 erschien mit großem Erfolg Nilssons Autobiografie („Ein Leben für die Oper“).

Das boomende Klassik-Business der letzten Jahre verfolgte die Schwedin, die noch im hohen Alter zuhause vor dem Radioapparat hin und wieder „ein paar Hojotohos“ geschmettert haben soll, mit offener Skepsis. Das Regietheater war ihre Sache ganz sicher nicht, ebenso wenig Opern in Fußballstadien und andere plärrende Events. Warum sie ihre Karriere so abrupt beendet hat, ohne das leiseste, kleinste Wort des Abschieds? „Ich finde, ,Auf Wiedersehen’ zu sagen ist immer ein kleines Sterben, das ist wie ein kleiner Tod. Zu wissen, dass man nie mehr auf der Bühne stehen wird, wie kann man das verkraften, während man singt? Ich habe mir sehr früh geschworen, wenn ich einmal eine große Sängerin werden sollte, würde ich niemals eine Abschiedsvorstellung geben. Rudolf Bing, der Manager der Met, hat einmal gesagt, es sei doch besser, jemand fragt, ach, hat die schon aufgehört zu singen, als dass er fragt: Singt die etwa noch?“

Vor zehn Tagen ist Birgit Nilsson, wie erst jetzt in der schwedischen Presse bekannt wurde, im Alter von 87 Jahren gestorben. Begraben wurde die Jahrhundertsängerin auf dem Dorffriedhof ihres südschwedischen Geburtsortes Västra Karup.

Christine Lemke-Matwey

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