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Kultur: Die Helsingöre

Asta Nielsens „Hamlet“ in der RETROSPEKTIVE

„Schwachheit, dein Name ist Weib.“ Hier stimmt dieser viel belächelte Hamlet-Spruch. Und was für eine wunderbare Dialektik: Der Dänenprinz ist eine Prinzessin, die von Geburt an in Männerkleider gesteckt wird, weil die Krone einen Thronfolger braucht. „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ Staatsräson: Die junge Frau muss ihr Geschlecht, ihre Liebe zu Horatio usw. verleugnen, bis in den Tod.

Asta Nielsen, damals bereits vierzig Jahre alt, drehte 1920/21 in Berlin (und in der Kaiserpfalz zu Goslar) mit ihrer eigenen Produktionsfirma einen „Hamlet“, dessen Originalfassung lange als verloren galt. Erst 2005 gelangte das Deutsche Filminstitut in Frankfurt in Besitz einer Originalkopie – ein sensationeller Fund. Der aufwändig restaurierte, polychrome Stummfilm (Regie: Svend Gade, Heinz Schall) kam bei der Berlinale-Retrospektive in der Volksbühne zur einmaligen Aufführung, mit der neuen, live gespielten Musik von Michael Riessler, die an Philip-Glass-Soundtracks erinnert. Im Sommer wird der wiedergefundene Film noch einmal auf Arte zu sehen sein.

Shakespeare, so liest man amüsiert im Vorspann, sei überschätzt, sein „Hamlet“ zumal, mit diesen unerklärlichen Launen und Stimmungsumschwüngen. Erwin Gepards Drehbuch stellte (nach Forschungen eines gewissen Professors Edward P. Vining) das Hamlet-Drama vom Kopf des alten Grüblers auf die Füße des selbstbewussten Stummfilm-Stars. Crossdressing in Helsingör, eine Gender-Tragödie avant la lettre. Der Stummfilm – hier bekommt man es farbig vor Augen geführt – brachte so viele Kunststücke auf einmal fertig. Er hat, nebenbei, das Theater neu erfunden, seine Experimentierlust nahm das so genannte Regietheater ein halbes jahrhundert vorweg. Und er wollte massenwirksam sein: Asta Nielsens „Hamlet“ beginnt mit veritablen Actionszenen auf dem Schlachtfeld, er endet mit einem melodramatischen Showdown. Horatio will Hamlet den Wams öffnen, dem Sterbenden Luft schaffen, und seine Hand ruht plötzlich auf einer Frauenbrust. Soll man lachen oder weinen?

Nun hatte Jahrzehnte zuvor auch schon Sarah Bernhardt die Prinzenrolle in ihrem Repertoire. Doch Asta Nielsen zeigte – als Mann – einen modernen Frauentyp. Einen Ritter von der zarten, verführerischen Gestalt, mit spitzer Nase, verschatteten Augen und schmalem, sinnlichen Mund. Eine Erscheinung der großstädtischen Nacht, in mittelalterlicher Kulisse. Asta Nielsen hätte Inspiration sein können für Virginia Woolfs „Orlando“-Roman von 1928. Und natürlich darf man an Angela Winkler denken, die in Peter Zadeks Regie Hamlet war.

Asta Nielsen: Wer trug je den schwarzen Mantel der Melancholie leichter. Und auch wenn die Produktion vorgab, nicht viel von Shakespeare zu halten, so folgte sie doch weitgehend seiner Dramaturgie und den Bildern, die der Barde evoziert. Archaisierte Landschaft, poetische Architektur, Fenster und Türen, die sich zu träumerischen Panoramen öffnen. Farben im fahlen Rausch. Das nagende Gefühl vom Nichtsein bestimmt das Bewusstsein.

Rüdiger Schaper

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