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Kultur: Die Hölle am Hofe

Eine Ausstellung im Schloss Köpenick erzählt vom dramatischen Fluchtversuch Friedrichs II.

Auf dem Tisch liegen die Bibel und ein aufgeschlagener Band des Preußischen Kriegsrechts. An den Längsseiten reihen sich Namensschilder von 16 Offizieren aneinander, die hier zu Gericht saßen. Es wirkt, als seien sie gerade eben aufgestanden, vielleicht um sich in einer Verhandlungspause zu beraten. Die raumfüllende Installation – ein Plexiglastisch auf einem verspiegelten Sockel – bildet das Herzstück der Ausstellung „Kriegsgericht in Köpenick!“, mit der die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Schloss Köpenick die Feierlichkeiten zum 300. Geburtstag von Friedrich II., dem berühmtesten aller Preußen-Könige, am 24. Januar einläutet. Genau hier, im stuckverzierten, freskobekrönten Wappensaal des Schlosses, hatten die Kriegsrichter im Oktober und November 1730 über das Schicksal des Kronprinzen zu befinden, dessen Fluchtversuch vor seinem Vater Friedrich Wilhelm I. gescheitert war.

Es ging um Fahnenflucht, darauf stand die Todesstrafe. Aber die Richter erklärten, dass ihnen über Friedrich, als Kronprinz eine „Persona sacra“, kein Urteil zustünde. Bei dem Mitverschwörer Hans Hermann von Katte plädierten – es wurde nicht einzeln, sondern klassenweise abgestimmt – drei Offiziersklassen für den Tod, drei für lebenslängliche Festungshaft. In einer solchen Pattsituation hätte automatisch das mildere Urteil gegolten – nur die Bestätigung durch den König fehlte noch. Doch Friedrich Wilhelm, der in seiner nahen Lieblingsresidenz, dem Jagdschloss Königs Wusterhausen, wartete, reagierte wütend. Er habe Richter eingesetzt, polterte er, von denen er glaubte, dass sie „ihre Pflicht nicht vergäßen und des Königs Ehre“ beachten würden.

Vergeblich drängte der König auf ein neues, härteres Urteil. Die 16 Offiziere blieben standhaft, ein Beispiel für Mut vor dem Herrscherthron. Am Ende musste Friedrich Wilhelm selber den Todesspruch aussprechen. Eine Vitrine gleich neben dem Richtertisch zeigt das Richtschwert, mit dem Katte am 6. November 1730 in der Festung Küstrin geköpft wurde, angeblich vor dem Fenster von Friedrichs Zelle. Im Vorübergehen soll er noch „Mein Prinz, ich sterbe mit tausend Freuden für Sie!“ durch die Gitter gerufen haben. Der König hatte bestimmt, dass sein Sohn dem blutigen Schauspiel zusehen sollte, ein immer wieder kolportierter Beweis für den Sadismus des Herrschers. Allerdings scheinen Augenzeugenberichte zu belegen, dass der Hinrichtungsort von Friedrichs Zimmer aus gar nicht einsehbar war.

Kaum eine andere Episode im Leben Friedrichs II. ist später so von Anekdoten überwuchert worden wie der in Kattes Tod gipfelnde Kampf mit dem Vater. Dabei waren die Rollen klar verteilt: Friedrich Wilhelm ein engstirniger, despotischer „Soldatenkönig“, der Sohn ein den Musen zugetaner Träumer und späterer „Philosoph von Sanssouci“. Die von Jürgen Kloosterhuis und Lothar Lambacher kuratierte, penibel anhand der Akten des Geheimen Staatsarchives erarbeitete Ausstellung erzählt die Geschichte etwas anders. Demnach war der König nicht ganz der grausame Justizmörder, der Kronprinz nicht bloß ein naiv-jugendlicher Rebell. Friedrich Wilhelm hatte Preußen zum modernen Zentralstaat umgeformt und musste einen Adelsaufstand fürchten, wenn er nicht exemplarisch gegen die Desertion vorginge. Friedrich versuchte mit der Flucht auch, sich der Außenpolitik des Vaters zu widersetzen, der auf einen Ausgleich mit dem Kaiser statt auf die Annäherung an England drängte.

Zweifellos hat Friedrich unter seinem Vater gelitten. Friedrich Wilhelm gab sich als Kraftkerl, der am liebsten pfeifeschmauchend mit den Herren seines Tabakskollegiums Jagd- und Kriegsschnurren austauschte. Als sich um 1725 herausstellte, dass der damals 13-jährige Sohn von den Anforderungen seiner Erziehung überfordert war, formulierte er einen genauen Stundenplan für dessen Unterricht und Freizeit. Der Vater setzte ganz auf soldatische Tugenden, doch der Sohn spielte lieber Querflöte. Eine kostbare Flûte traversière aus Friedrichs Besitz steht in der Ausstellung für seine innere Emigration. Erbost über den „Querpfeifer und Poeten“, der ihm „meine ganze Arbeit verderben wird“, begann der cholerische König den Kronprinzen öffentlich zu beschimpfen – und sogar zu schlagen.

So wurde Friedrich das Hofleben zur Hölle. Flötenunterricht konnte er nur heimlich nehmen, den Vater verspottete er hinter dessen Rücken als „König Knirps“. Seine Lieblingsschwester Wilhelmine hat das Schloss Königs Wusterhausen in ihren „Mémoires“ als „Hades“ beschrieben. Eine Gegenwelt zum spartanischen Vaterhaus eröffnete sich Friedrich 1728 bei einem Besuch am Dresdner Hof August des Starken, von Wilhelmine als „Kythera“ gepriesen. Er war beeindruckt von der Prachtentfaltung und den „Lustbarkeiten, fast alle Tage Redoute (Maskenball), nur die Sonn- und Feyertage ausgenommen“. Noch tiefer beeindruckte ihn die Gräfin Orzelska, eine illegitime Tochter Augusts, die gleichzeitig dessen Mätresse war. Sie wurde, so Wilhelmine, die erste Geliebte des 16-jährigen Kronprinzen, der in Berlin von allen weiblichen Verlockungen ferngehalten worden war.

Über Friedrichs sexuelle Vorlieben ist viel spekuliert worden. Schwul scheint er in seinen frühen Jahren, den Eindruck vermittelt die Ausstellung, nicht gewesen zu sein. Neben der Orzelska hatte er mindestens eine weitere Geliebte, die Potsdamer Rektorstochter Dorothea Ritter, die 1730 im Zuge des Kriegsgerichtsverfahrens zu öffentlichen Peitschenhieben und anschließender Internierung im Spandauer Spinnhaus verurteilt wurde, einer Strafe, die für Prostituierte galt. Auch die Vermutung, dass Friedrich und Katte eine Liebesbeziehung verband, weisen die Ausstellungsmacher zurück. Sie sehen in dem Leutnant, der gerne die Querflöte spielte, einen ehrgeizigen Aufsteiger, der durch seine Nähe zur „aufgehenden Sonne“ am Hofe, dem Kronprinzen, Karriere zu machen hoffte.

Gescheitert ist Friedrichs Flucht nicht, wie gerne ausgemalt, wegen falsch zugestellter Briefe, sondern durch eigenes Unvermögen. Der Kronprinz wollte, als er mit seinem Vater eine Staatsreise durch Süd- und Westdeutschland antrat, nach Frankreich entkommen. Doch Katte wurde in Berlin aufgehalten. Verzweifelt versuchte Friedrich, einen Cousin Kattes dazu zu überreden, ihn bei der Flucht zu begleiten. Stattdessen informierte der Cousin einen Vorgesetzten. So war der Plan bereits verraten, als Friedrich am frühen Morgen des 5. August im kurpfälzischen Steinsfurt in seinem Nachtlager, einem schlichten Gehöft, aufbrach. Sein Pferd konnte der dilettantische Deserteur, der später „der Große“ genannt werden würde, schon nicht mehr besteigen.

Schloss Köpenick, bis 5.2., Di–So 10–18 Uhr, Katalog 26 €. Außerdem neu: Jürgen Kloosterhuis: Katte. Ordre und Kriegsartikel, Duncker & Humblot, 137 S., 14,80 E. – Uwe A. Oster: Sein Leben war das traurigste der Welt. Friedrich II. und der Kampf mit seinem Vater, Piper, 285 S., 19,99 €.

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