zum Hauptinhalt

Kultur: Die Hölle in der Hülle

Nightmare on Prinzregentenstreet: Der Skandalkünstler Paul McCarthy im Münchner Haus der Kunst

Gefahren. Kinder. Keinerlei Haftung. Das steht ziemlich fett im Kleingedruckten auf einem gelben Blatt. Jeder Besucher der „Lala land parodie paradies“-Ausstellung in München bekommt an der Kasse einen in die Hand gedrückt. Ohne Zweifel: Man kommt besser ohne Kinder, obwohl bei der Eröffnung manierliche junge Männer in netten, historischen amerikanischen Uniformen auf Planwagen durch den Englischen Garten gefahren sind. Die Arbeiten von Paul McCarthy können das „moralische Empfinden“ des Besuchers verletzen, warnt der Zettel. Das erste Objekt ist denn auch eine Sau aus Plastik. Sie ist mit viel Elektronik verkabelt, atmet und zittert mit der Rosette. Die Sau bleibt aber noch das Harmloseste hier drin.

Saalwächter im Münchner Haus der Kunst haben beschaulichere Monate verbracht – mit stummen Bildern, stillen Skulpturen und schweigenden Aufbauten. Jetzt aber ist Paul McCarthy da und bespielt 2500 Quadratmeter mit zwei Großinstallationen und gewaltig Krach. Der kommt von den Videosequenzen, in denen Piraten und Soldaten das tun, was Piraten und Soldaten immer schon getan haben: Sie murksen Leute ab, die sich ihnen in den Weg stellen, oder vergewaltigen sie. Das sieht man dann auch. Paul McCarthy zeigt wie schon in der Berliner Flick-Collection mit einer unübersehbaren Lust an der Provokation Menschen, die übereinander herfallen. In München tragen sie Schweine- oder Hundemasken. Blut spritzt, Knochen knacken. Eine Säge heult auf. Zuerst ist ein Stuhl dran, dessen Beine in der Ausstellung herumliegen, zusammen mit anderen Requisiten: Ketchup, Schokolade, Mayonnaise. Dann heult wieder die Säge, und es splittert im Splatterfilm. Man braucht gute Nerven, um Paul McCarthys „Nightmare on Prinzregentenstreet“ zu überstehen.

Dabei wirken die Aufbauten vergleichsweise harmlos. Eine Installation ist ein Fort mit fünf Wachtürmen und Tunneln aus Holz, die andere ein Piratenschiff aus rostrotem Harz, ein altes Hausboot mit komplett verwüsteter Inneneinrichtung, und schließlich die „Underwater World“ – da schaukelt ein Schiff auf Rollen wie bei leichter Brise. Das ist die Hülle. Drinnen aber, sagt der aus dem Mormonenland stammende Künstler, ist die Hölle. Wo er das mit vergleichsweise wenig Aufwand nahe legt, macht die These den größten Effekt. McCarthy kommt von der Body Art und hat sich in den Sechzigern Junk fressend selber als Medium missbraucht, um zu zeigen, wie viel Dreck in einen einzelnen Menschen reingeht. In München nun installiert der Sechzigjährige für das „Pirate Projekt“ auf dem Hausboot einen Fernseher, in dem fortwährend „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ läuft. Elizabeth Taylor und Richard Burton sind Martha und George, und man weiß gut, dass es viel schlimmer nicht kommen kann zwischen zwei Menschen. McCarthy hat Öffnungen in die Bootswand gesägt, so dass der Besucher gewissermaßen Werksspionage betreiben darf. Indem er die Position des Beobachtenden aufgibt, fällt er auf sich selbst zurück. In die Leere. Es bleibt, sagt Paul McCarthy, nicht viel – außer Blut, Sch(w)eiß, Sperma und Tränen. Und Gelächter. Männerlachen. Männerlachen auf dem Klo, beim Saufen, beim Grölen.

So sind die Soldaten bei McCarthy, die damals den Westen gewonnen haben, so sind die Soldaten, die in Abu Ghraib Dienst geschoben haben. Nicht nach Vorschrift, wie man schon länger weiß. McCarthy kennt die Kriegs-, die Kino- und die Kunstgeschichte. Jede für sich findet normalerweise in verschiedenen Räumen statt. Hier nun kommt alles zusammen. Wer die Büsten der Piraten anschaut, denen ein Penis aus dem Auge wächst und die nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Unterleib denken, fühlt sich an Arcimboldo erinnert. Nur harmlos ist das alles nicht.

Hinter jedem Bild scheint bei Paul McCarthy die Brutalität der Menschheitsgeschichte auf, die er als Geschichte von Verstümmelungen erzählt, sarkastisch, überpointiert und bewusst geschmacklos. Selbst der dem Haus der Kunst übergestülpte Blumenschmuck täuscht: riesige Plastikgeranien, die auf dem Dach in die Höhe zu wachsen scheinen. An den Wurzeln freilich bleibt das Haus der Kunst, was es ist: die Nazischachtel von 1933. „Forget the past“, sagt Paul McCarthy gerne. Dass er nicht meint, was er sagt, ist hier zu besichtigen.

Haus der Kunst, München, bis 28 August. Der Katalog (erscheint ab Anfang Juli) kostet 35 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false