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Kultur: Die Hölle selbst

Kurzatmig schraubt die Hyäne ihr Gejaule in die Höhe. „Das Hohnlachen der Hölle selbst“ erkannte der Zoologe Alfred Brehm im anschwellenden Jaulen.

Kurzatmig schraubt die Hyäne ihr Gejaule in die Höhe. „Das Hohnlachen der Hölle selbst“ erkannte der Zoologe Alfred Brehm im anschwellenden Jaulen. Jetzt gibt es das hysterische Gelächter in einer Discoversion: Der Künstler Matthew Brannon unterlegte seine Aufnahmen von heulenden und Knochen knackenden Hyänen des Berliner Zoos mit einem dezenten Beat und presste das Resultat auf Schallplatte. Edel schaut das klare Vinyl in der weißen, bedruckten Hülle aus. Die Tintenzeichnung einer zusammengerollten Peitsche an der Wand vervollständigt die Arbeit „Hyena“ (9000 Euro), die das Zentrum der gleichnamigen Ausstellung bei Jan Winkelmann Berlin bildet (Brunnenstraße 185, bis 6. Juni) . Auch die Hoch- und Siebdruck-Unikate sowie die Wandbehänge des 1971 geborenen Amerikaners strahlen vornehme Gelassenheit aus (4000 – 4500 Euro und 11 000 Euro). Doch gleichzeitig schlummert in diesen Arbeiten eine leichte Unruhe. Die Siebdrucke mit schattenrissartigen Pflanzen etwa erinnert an die gemütliche Erhabenheit von Marimekko-Design der 60er und 70er Jahre. Doch die Titel, die in stilvoller Kursivschrift auf das Bild gedruckt sind, lassen andere Assoziationen aufkommen: „Kranke Hure“, „Wie es alles endet“ oder „Sich ergebener Polizist“ steht da. Auch der Aal, der in mehreren Werken Brannons wiederkehrt, symbolisiert wie die zusammengerollte Peitsche eine Erotik, die jederzeit in Gewalt umschlagen kann.

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Der amerikanische Künstler Charlie White sucht in seiner Fotoserie „Everything Is American“, die er in der Galerie Wohnmaschine ausstellt, die Abgründe eher in der Gesellschaft als in der Psychologie (Tucholskystraße 35, bis 10. Juni) . Ein Urmensch hält in der Hand den Schlüssel zum Zivilisationsprozess: einen blutigen Knochen, der zum Werkzeug oder zur Waffe werden kann. Während der frühe Mensch noch schlachtet, weil er muss, zeigen die anderen sechs computermanipulierten Porträts, wie Kultur und Gewalt einander hervorbringen und verdecken. Vom Grauen, das die Charles-Manson-Jüngerinnen anrichteten, bleibt im Gerichtssaal der triumphierende Blick einer Angeklagten. Die US-Soldatin auf einer anderen Fotografie schaut schuldbeladen ihren Kameraden an. Eine verletzte Turnerin liegt in den Armen ihres Trainers und hält sich schreiend den Fuß. Der 1972 geborene White leuchtet mit seinen aufwändigen Großformaten in beinahe altmeisterlicher Ergriffenheit die unfrohe Botschaft aus: Die Dressur der Bestie Mensch gelingt nur auf bestialische Weise (8500 – 13 600 Euro).

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Abhilfe schafft vielleicht die häufig gescholtene Kulturindustrie: Sie verzaubert Gewalterfahrungen in Unterhaltung. Die Österreicherin Susi Jirkuff zeigt in ihrer Ausstellung „Let them watch with Amazement!“ bei Hermann & Wagner eine Videoinstallation, in der sie eine Teletanzlektion aus den 70ern mit heutigem Gangsterrap zusammenschneidet (Koppenplatz 6, bis 10. Juni) . Flott schwofen ältere Tanzlehrer zu Zeilen von 50cent und The Game, die von Zuhälterei und Schusswaffen erzählen. Das ist gar nicht mal so abwegig: Der ehemalige Drogendealer 50cent, dem mehrmals ins Gesicht geschossen wurde, ist Dank weißer Mittelklassekids ein Star. Was heute weh tut, kann morgen Revue werden. Doch unter dem Tanzboden schwelt es weiter (Ed. 3, 2500 Euro).

Daniel Völzke

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