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Kultur: Die Hoffnung lacht zuletzt

Fanfaren für einen Kino-Zauberer: Das Babylon Mitte ehrt Ernst Lubitsch mit einer großen Retrospektive

Der Regisseur: ein Zauberer. Am Anfang seines mit visuellen Gags geradezu überladenen Stummfilms „Die Puppe“ tritt Ernst Lubitsch selber vor die Kamera. Er öffnet eine Spielzeugschachtel, packt ein Haus, Bäume, Figuren aus und arrangiert sie zu einer Landschaft. Dann folgt eine Überblendung, das Spielzeug verwandelt sich in einen Set, die Tür öffnet sich und zwei Schauspieler treten heraus. Das Spiel beginnt, ein magischer Moment.

Es geht um einen reichen Erben, der, weil er Frauen eher nicht mag, mit einer Puppe verheiratet wird. Aber die Puppe, gespielt vom frühen Lubitsch-Star Ossi Oswalda, entwickelt ein Eigenleben. „Die Puppe“, 1919 inszeniert, greift die Automaten-Begeisterung der Romantiker auf und nimmt den Surrealismus eines Bunuel vorweg. „Es war reine Phantasie“, hat Lubitsch später geschrieben. „Die meisten Dekorationen waren aus Pappe, einige sogar aus Papier. Selbst heute halte ich diesen Film für einen der einfallsreichsten, die ich je gemacht habe.“

„Die Puppe“ gehört zu den 40 Filmen einer umfassenden Retrospektive im Kino Babylon Mitte, mit der Berlin Lubitsch zu seinem 60. Todestag ehrt. Sie beginnt am Donnerstag mit einer Gala-Aufführung von „So This is Paris“ (USA 1927), begleitet vom Deutschen Filmorchester Babelsberg. Zum Programm gehört ein Stummfilm-Marathon, bei dem 23 Lubitsch-Klassiker, unterlegt mit Live-Klaviermusik, nonstop zu sehen sein werden (am 10. und 11. März), und die Premiere von „Ernst Lubitsch in Berlin“, des ersten abendfüllenden Dokumentarfilms über Lubitsch (2. März). Als Ehrengast kommt Nicola Lubitsch, die 1938 in Los Angeles geborene Tochter des Regisseurs, nach Berlin, um am ehemaligen Wohnhaus ihres Vaters in der Schönhauser Allee 183 eine Gedenktafel zu enthüllen.

Lubitsch, ein ungemein produktiver und kommerziell erfolgreicher Künstler, war schon 1922 nach Hollywood gezogen. Seine sophisticated comedies wie „The Shop Around the Corner“, „Design for Living“, „To Be or Not to Be“ oder „Ninotschka“, die er fortan für Warner und Paramount drehte, stiegen in den Rang kanonischer Klassiker auf. Das Frühwerk jedoch, das derbe Klamotten („Das fidele Gefängnis“), frivole Geschlechterverwechslungskomödien („Ich möchte kein Mann sein“) und monumentale Historienfilme („Madame Dubarry“) umfasst, geriet in Vergessenheit. Die Nationalsozialisten bürgerten den aus einer jüdischen Familie stammenden Regisseur 1935 aus, danach, so erinnert sich seine Nichte Evy Bettelheim-Bentley, „war Deutschland für ihn abgeschrieben“.

„Zunächst mal war Lubitsch für uns natürlich der amerikanische Lubitsch, die deutschen Lubitsch-Filme waren lange Zeit so gut wie unbekannt. Doch dann ist mir der deutsche Lubitsch sehr ans Herz gewachsen, als etwas ganz Eigenes“, erinnert sich der Filmhistoriker Enno Patalas in „Ernst Lubitsch in Berlin“, der Dokumentation, in der Regisseur Robert Fischer historische Aufnahmen, Filmsequenzen und Aussagen von Angehörigen und Bewunderern zu einem liebevollen, weit ausholenden Lebensbild arrangiert.

Die Redewendung vom „Lubitsch- Touch“ meint ein ironisches Spiel mit Andeutungen und Erwartungen, bei dem die Komik nicht verbalisiert werden muss, sondern im Kopf des Zuschauers entsteht. Tom Tykwer spricht vom „Prinzip Hoffnung“: „Ich bin immer hoffnungsvoll aus Lubitsch-Filmen herausgekommen. Als könnte man durchs Leben gehen und für den Wahnsinn, der auf uns einprasselt, ein Lächeln finden.“

Die ersten Lubitsch-Werke, entstanden im Ersten Weltkrieg, atmen noch den Geist des Tingeltangels, aber bald schon ist er da, der Touch. Der Regisseur verringert die Zahl der Zwischentitel, erzählt seine Geschichten durch die Mimik der Darsteller und auffällig ins Bild gerückte Requisiten. Blicke, durch Schlüssellöcher geworfen, werden zum Markenzeichen. Die Action bleibt im Verborgenen, der Zuschauer muss erahnen, was sich hinter den verschlossenen Türen abspielt. In „Die Austernprinzessin“ (1919) gibt es eine hinreißende Szene, in der ein Mann sehr lange in einer Empfangshalle warten muss. Um sich die Zeit zu verkürzen, läuft er – erst mit auf dem Rücken verschränkten Händen, später im Entengang, x-beinig, hüpfend – das komplizierte Muster auf dem Teppich ab. Eine Studie in, um Monty Python zu zitieren, „Silly Walking“ und, so Lubitsch, „das erste Mal, dass ich mich von der Komödie zur Satire wandte“.

Ernst Lubitsch kommt 1892 als Sohn galizischer Einwanderer in Berlin zur Welt. Sein Vater betreibt eine Damenmantel-Fabrikation in der Lothringer Straße (heute Torstraße). Der Lebemann hält nicht viel vom Wunsch seines Sohnes, Schauspieler zu werden, einer Anekdote nach zerrt er ihn vor einen Spiegel: „Guck dich mal an, mit dem Gesicht willst du auftreten?“ Doch der Abiturient wird auf Vermittlung des Schauspielers Viktor Arnold von Max Reinhardt zum Vorsprechen eingeladen und bekommt einen Platz im Ensemble des Deutschen Theaters. Lubitsch wird Spezialist für komischen Rollen auf der Bühne und tritt für kurze, schnell abgedrehte Filme schon bald mit Stars wie Paul Wegener und Josef Kainz vor die Kamera. Er chargiert gnadenlos, baut jüdischen Nebbich-Humor in seine Rollen ein und wird 1914 mit der Komödie „Der Stolz der Firma“ berühmt.

Der Erste Weltkrieg macht den Nachwuchsdarsteller zum Kriegsgewinnler. Weil er die russische Staatsbürgerschaft besitzt, wird er nicht eingezogen und kann, ab 1915 auch als Regisseur, einen Film nach dem anderen drehen. Der Produzent Paul Davidsohn, ein früher Film-Mogul, greift gerne auf Lubitschs Talente zurück. Die Filme entstehen in Berlin-Tempelhof, in mehrgeschossigen Studios, bei denen die Glashaus-Ateliers auf den Büroetagen stehen. Seinen letzten Bühnenauftritt absolviert Lubitsch 1918, die Revue trägt den zum Kriegsende passenden Titel „Die Welt geht unter“.

Für Politik hat sich der Regisseur nie sonderlich interessiert, die Gegenwart und ihr Getöse kommen in seinen Filmen nicht vor. Als in Berlin die Novemberrevolution ausbricht, arbeitet er gerade am Schnitt seines ersten „Großfilms“ „Carmen“. Den Umgang mit Massenszenen hatte er bei Max Reinhardt gelernt, Lubitsch dirigiert auch bei „Anna Boleyn“ und „Das Weib des Pharao“ riesige Komparsenheere, versucht aber, „meine Filme zu ent-opern und meine historischen Gestalten zu vermenschlichen“. Das Barockdrama „Madame Dubarry“ reüssiert in Übersee und ebnet den Weg nach Hollywood. Als Lubitsch 1936 amerikanischer Staatsbürger wird, schenkt ihm sein Bühnenbildner Hans Dreier eine Zeichnung. Sie zeigt einen Korb voller Eier mit den Titeln seiner Filme. Und darüber Gewürzstreuer mit den Ingredienzen des Lubitsch-Touches: „Pfeffer, Humor, Liebe, Seele.“

Die Lubitsch-Retro im Babylon Mitte beginnt am Donnerstag um 19 Uhr mit „So This is Paris“. Programm unter www.babylonberlin.de. Bei Transit Film erscheint eine „Ernst Lubitsch Collection“ mit fünf frühen Stummfilmen (1918 bis 1920).

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