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Kultur: Die Hündin Leika fliegt ins All Fritz Rudolf Fries’

Roman „Blaubarts Besitz“

Ritter Blaubart, wäre er ein Mann unseres Jahrhunderts, würde in seiner verbotenen Kammer keine toten Frauen verbergen. Blaubart, als Geschöpf des Schriftstellers Fritz Rudolf Fries, würde in dem Kästchen, zu dem der kleinste Schlüssel passt, Fotos einer einzigen Frau aufbewahren, Reliquien einer großen Liebe.

Das frauenmordende Scheusal Blaubart hat eine lange Tradition. In Charles Perraults Märchensammlung von 1697 wurde die Legende, die bis zum 6. Jahrhundert zurückreicht, schriftlich fixiert. Es folgten Dramen, Erzählungen und Opern wie die von Tieck und Maeterlinck, Döblin und Frisch oder von Béla Bartók. Seine jüngste Auferstehung feiert Blaubart nun bei Fries. Der überschreibt das Märchen und erfindet hemmungslos hinzu. Doch darin steckt ein sehr persönliches Buch: eine Hommage an die Liebe inmitten der historischen Verwerfungen neuerer (ost-)deutscher Geschichte.

Denn erzählt wird von den Nachkriegsjahren in der sächsischen Provinz, von den amerikanischen GIs als ersten Besatzern und der Roten Armee, die ihnen folgte. Die Hündin Leika fliegt ins All und ein Land mauert sich ein. Eine staatliche Devisenbeschaffungsfirma macht halblegale Geschäfte, im Zwielicht spinnt die Staatssicherheit ihr Garn. Auch Fries diente ihr einmal. Das hat ihn einen Platz in der ersten Reihe der deutschen Gegenwartsliteratur gekostet. Einen Platz, der ihm als Autor des grandiosen Schelmenstücks „Oobliadooh“, des Kolportageromans „Alexanders neue Welten“ oder der fulminanten Auseinandersetzung mit utopischen Verheißungen in „Hesekiels Maschine“ zweifellos zukäme.

Diesmal spiegelt Fries die Zeitgeschichte im Leben Louis Blaubarts, des Letzten der Dynastie. Sein Großvater war ins sächsische Städtchen R. eingewandert, hatte eine florierende Textilindustrie begründet und sich ein Schlösschen gebaut. Dessen Sohn missbrauchte Häftlinge in NS-Konzentrationslagern für seine Experimente zur Lebensmittelkonservierung. Dann kauften ihm die Amerikaner seine Patente ab und wuschen ihn politisch rein. Um das auf Schweizer Konten gebunkerte Millionenerbe anzutreten, muss sein Spross die Auflage erfüllen, bis zum 30.Geburtstag in den Stand der Ehe zu treten.

Blaubart Junior aber verliebt sich unsterblich in das Mädchen Caroline. Da sie noch minderjährig ist, wird aus der Ehe vorerst nichts. Und während Caroline in Leipzig eine Buchhändlerlehre absolviert, geht Blaubart nach Berlin. Die stets devisenklamme Staatsmacht, über das Testament seines Vaters orientiert, trägt ihm die Heirat mit der linientreuen Dame Dunja an, um sich selbst ein Scheibchen von den Schweizer Millionen abzuschneiden. Blaubart spielt mit, schaltet sein Vermögen frei und muss im Gegenzug ein erkleckliches Sümmchen in Dr. Glossowskys Staatsunternehmen investieren. Als Dankeschön lässt er sich die großväterliche Villa rücküberschreiben. Dort will er sich mit Caroline zurückziehen, wenn das Doppelleben mit Ehefrau in Berlin und Geliebter in Leipzig einmal zu Ende sein wird. Und so geschieht es.

Blaubart ist ein großer Liebender. Er liebt die Frauen und die Kunst – und mitunter geht ihm beides durcheinander. Er ist ein Décadent im Staate DDR. Seiner Caroline schenkt er einen Buchladen und hält sie wie eine Gefangene. Kein Wunder, dass deren Zuneigung bald erkaltet, zumal sich Blaubarts Liebe auf etliche Lebenslügen reimt.

So finden wir Caroline am Beginn des Romans in jenem verbotenen Zimmer schlafend, in das Blaubart sie eingesperrt hat. Im Traum zieht ihre Lebensgeschichte an ihr vorüber, während ein neuzeitlicher Märchenerzähler jene der Blaubarts beisteuert. So recht wird Caroline aus ihrem Schlummer nicht wieder erwachen. Wenn Caroline am Ende unterm Druck der übergroßen Liebe ihres Gatten stirbt, bleibt Blaubart nur seine Trauer. Binnen weniger Tage folgt er ihr nach.

Fries erzählt also keine Geschichte des siegreichen Machismo, sondern das fast anrührende Schicksal eines Mannes, der, aufgerieben von Liebessehnsucht und verstrickt in seine Herkunft, die politischen Zeitläufte pragmatisch zu handhaben versucht. Unterm Sarkasmus lauert tiefe Traurigkeit, unterm zuweilen pathetischen Ton eine Ironie, die dem Märchen die letzten Reste Unschuld austreibt. Über allem aber wacht ein unergründlicher „Geist der Erzählung“. Er sorgt für die Magie, jenen unauflöslichen Rest, den man auch Kunst nennt.

Fritz Rudolf Fries: Blaubarts Besitz. Faber & Faber, Leipzig 2005. 160 S., 16 €.

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