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Kultur: Die im Dunkeln siezt man nicht

Musiktheater maximal: Dietrich Hilsdorfs „Lustige Witwe“ in Essen und „Trittico“ in Düsseldorf

Njegus wird’s schon richten. Njegus ist Klomann im Hotel „L’attaché“ – und ein Spezialist für heikle Sachen. Heute soll er das Ballett des „Maxim“ herbeischaffen, als special guests für den Ball der Pontevedrinischen Botschaft. Na ja: Oder zumindest sechs Tänzerinnen. Also shanghait er alles, was zwei Beine und ein dringendes Bedürfnis hat.

In Dietrich Hilsdorfs Inszenierung der „Lustigen Witwe“ am Essener Aalto-Theater stehen die Toiletten-Schwingtüren nur selten still. Im Vorraum zum Ort des geringsten Widerstandes herrscht Krieg. Es ist der Sommer 1939; noch schweigen die Geschütze. Dafür tobt der Geschlechterkampf um so heftiger. Hilsdorf geht es nicht um platte Nazi-Metaphorik, er wählt den historischen Moment, um eine Gesellschaft am Abgrund zu zeigen. Militär-Attaché Pritsch ist nur einer unter vielen Ausländern hier in Paris. Statt der vom Libretto vorgesehenen Botschaftsangehörigen, ringen in Dieter Richters Art-Deco- Bühnenbild Italiener, Spanier, Russen, Franzosen und Engländer vielsprachig um die schwerreiche Hanna Glawari.

Mit diesem Trick treibt Hilsdorf Léhars Operette nicht nur den Gute-Alte- Zeit-Mief aus und setzt das weltoffene Flair einer Vielvölker-Metropole dagegen; er lässt auch die lustige Witwe als Inkarnation des Alten Europa erscheinen, um deren Vermögen ein Haufen längst bankrotter Staaten buhlt. Wer die Glawari bekommt, kann vielleicht noch ein paar Jahre den schönen Schein wahren.

Was Hilsdorf in seiner kühlen Analyse zeigt, ist eine Spaßgesellschaft kurz vor dem Kollaps. Keiner dieser scharf gezeichneten, wunderlich-wichtigtuerischen Typen ist sympathisch. Auch das hohe Paar, die Witwe und ihre Jugendliebe Danilo, beobachtet man mit kaltem Herzen beim emotionalen Versteckspiel. Wenn Hilsdorf, ganz konsequent, den berühmten „Lippen schweigen“-Walzer als Summ-Duett definiert, wird klar: Auch diese beiden haben sich nichts mehr zu sagen. Wer hier nicht mit der Blindheit nationalistischer Überheblichkeit geschlagen ist, hat als kapitalistische Ich-AG das Herz nicht mehr frei für naive Gefühle.

Die Essener „Witwe“ verdirbt den Zuschauern dennoch nicht den Operettenspaß. Weil Chefdirigent Stefan Soltesz einen berückend eleganten Léhar-Sound aufbietet, weil das typecasting bis in die kleinste Nebenrolle perfekt ist – und weil sich der Regisseur bei aller interpretatorischen Schärfe dem Humor nicht verweigert: Scharfer Witz, bitterböse Ironie und pointenreiches erotisches Fingerhakeln sind erlaubt. Nur eben kein Früher-war-alles-besser-Seufzen.

Seinen Ruf, einer der besten Opernregisseure der Republik zu sein, unterstreicht Hilsdorf auch mit seiner Deutung von Puccinis selten gespieltem „Trittico“, das an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf zu sehen ist. Der Holzhammer-Reiz ist auch hier seine Sache nicht. Hilsdorfs Figuren brauchen keine Adidas-Trainingsjacken, um darauf aufmerksam zu machen, wie heutig ihre Gefühle sind. Die Kostüme von Johannes Leiacker sind gerade in „Gianni Schicchi“ von hohem ästhetischen Reiz – und behindern den Regisseur keineswegs, im historisch korrekten Renaissance-Ambiente eine Story zu erzählen, die zum Gaudium des Publikums fatal an extrafiese „Dallas“-Folgen erinnert.

Stark und eindrücklich sind die Bilder, die Hilsdorf und sein Ausstatter für die beiden Dramen des Triptychons finden. Vor allem in „Suor Angelica“ entspinnt sich in dem riesigen, und doch klaustrophobische Urängste auslösenden, Klosterhof eine extrem fein gearbeitete Kommunikation zwischen den Nonnen, auch musikalisch suggestiv nachgezeichnet von John Fiore. Hier sagen Blicke und Gesten Dinge, die die frömmlerischen Frauen nie offen aussprechen würden. Von Renée Morloc als grausamer Fürstin angeführt, lässt Hilsdorf die Frauen so hinterhältig böse agieren, dass es den Zuschauern durch Mark und Bein geht. Allein Angelica widersetzt sich dem brutalen „Lippen schweigen“-Gebot: In einem grandiosen Finale lässt Therese Waldner (die auch im „Tabarro“ die Giorgetta packend gestaltet) ihren allzu lang unterdrückten Gefühlen freien Lauf, weint und barmt – bis sie am Schmerz zerbricht. Ein echter Herzwürger.

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