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Kultur: Die Jein-Sager

Raus aus der Kuschelecke: Wie eine CD-Anthologie im Rockland Germany den Protest neu erfinden will

Drei Töne wie ein Blaulicht. Sie kreiseln, wirbeln um ein leeres Zentrum, zunächst nur mit der Bescheidenheit einer gezupften Gitarre, doch schnell fällt die ganze Band ein und treibt den Song mit der Wucht des Punkrock voran. Aus den drei Tönen ist ein Trommelfeuer geworden, darin eingestreut verzerrte Alarmsignale. Der Sänger: „Neue Stimmen und neue Lieder/verkünden: wir sind wieder wer.“ Das gefällt ihm nicht, denn „man zeigt jetzt wieder Flagge und Fahne,/und letzteres sogar gern.“ Sein Missfallen gipfelt in der Feststellung vom „autarken Deutschtum auch im Pop“.

Muff Potter heißt die Band aus Münster, benannt nach einem Helden aus Mark Twains „Tom Sawyer“-Roman. Mit dem Drei-Minuten-Kracher „Punkt9“ mischt sich das Quartett in die Debatte um ein neues deutsches Nationalgefühl ein. Nach Auskunft von Sänger Nagel könne man keinen besseren Song zu diesem Thema schreiben. Was zu überprüfen ist, ganz leicht: auf der gerade erschienenen Compilation „I Can’t Relax in Deutschland“ (Unterm Durchschnitt). Neben Nagels Beitrag sind dort 19 weitere Anti-Hymnen zu hören, allesamt Versuche, „Popkultur nicht als national gewachsenes oder zu konstruierendes Kulturgut zu begreifen“, wie es im Vorwort heißt.

Tatsächlich sieht die CD aus wie ein Buch, knallroter Leineneinband, auf etwa 30 Seiten erklärt zunächst ein „Vorbereitungskreis“ die Entstehungsbedingungen des Projekts. Es folgen Adorno-Zitate sowie eine Abrechnung mit dem „Popnationalismus“, den Autor Roger Behrens als Ausdruck eines verschärften Konformismus wertet. Die Popkultur, die früher einmal einer in der Gesellschaft verfemten Leidenschaft entsprang, weiß sich nun im Bündnis mit allen. Ihre Botschaft: Das Kollektiv, dem wir angehören, kann nicht schlecht sein.

Deutschland goes Pop? Wenn heute in Berlin die 17. Popkomm ihre Tore unterm Funkturm öffnet, werden auch Branchenexperten wenig relaxed auf das Land blicken. Denn im ersten Halbjahr 2005 konnten nur 48,4 Millionen CDs verkauft werden, immerhin ein Anstieg von 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aber zu gering, um von einer Erholung des angeschlagenen Tonträgermarkts zu reden. Wirtschaftlich geht es dem Pop- und Rockland Germany also immer noch mies, nur kulturell scheint es sich zu erholen. Immer mehr junge Künstler entsteigen den Heizungskellern der Branche und stürmen den Markt mit aufregenden Platten. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil deutscher Produktionen an den Charts bei Singles 51,5 und bei den sehr viel kostspieligeren Alben 30,3 Prozent. Noch nie in den letzten 20 Jahren war der Wunsch nach heimischen Klängen so stark.

Dabei ist auffällig, dass sich ein Teil dieses Erfolgs der Emanzipation von amerikanischen und englischen Vorbildern verdankt. Bands wie Wir sind Helden oder Mia beziehen sich viel stärker auf den zickigen Post-Punk der Neuen Deutschen Welle als auf Blues, Britpop oder andere Traditionselefanten. Mia aus Berlin, die Deutschland beim vorletzten Grand Prix vertreten durften, kleideten diese Haltung in die Zeile: „fragt man mich jetzt, woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber leid.“ Dafür bezogen sie schwere Prügel. Auf Studentenfesten waren die Musiker um Sängerin Mieze, die man eigentlich zum linken Spektrum zählte, fortan höchst unbeliebt.

Auch DJ Paul van Dyk, der hierzulande erfolgreichste Elektro-Künstler, arbeitet sich mit „Wir sind wir“ an einem vermeintlich gehemmten Volksstolz ab. Kompagnon und Texter Peter Heppner wandert auf dem gemeinsamen Video wie ein Geschichtspassagier durch die deutsche Vergangenheit: zerbombte Städte, Trümmerfrauen, WM-Finale in Bern, dazu die Zeile: „So schnell kriegt man uns nicht klein.“ Ob derlei Seelenmassagen nur ein Versuch sind, das Verhältnis zur eigenen Herkunft zu entkrampfen, oder manifesten Revisionismus betreiben, ist umstritten. Peinlich ist es fast immer.

Denn im Pop-Diskurs gilt schon der Vorsatz, sich mit etwas so Beladenem wie „Nation“, „Deutschland“, „Heimat“ zu beschäftigen, als uncool. Die Sprache des Pop, dieses gigantische Bejahungssystem, ist anfällig fürs Affirmative geworden. So klagte Frank Spilker von der Hamburger Band Die Sterne, Politik und Pop hätten sich in ihrem Hang, komplexe Situationen auf Floskeln zu reduzieren, so sehr angenähert, dass dem Musiker kaum Raum bleibt, sich von den Öffentlichkeitsartisten der Parteien abzusetzen. Sobald der Popstar sachlich argumentiert, hat er das Gegenbild verraten, für das er einsteht und das mehr will, als Politik bieten kann. Die höchste Kulturleistung des Pop, nämlich „sich zusammenschließen zu können, ohne Inhalte zu definieren“ (Spilker), sie ist adoptiert worden. Die CDU bedruckt Wahlplakate nur mit den Nationalfarben und dem Slogan „Besser für unser Land“ – eine Eigenwerbung, die ohne irgendeine Positionierung auskommt.

Längst ist Schwarzrotgold zu einem Etikett geworden, einem Emblem, das eher eine „Marke“ als einen Staat verkörpert. „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“: Das war einmal. Undenkbar, dass eine Punkband – wie einst Slime – immer noch derartige Sätze schmettern könnte und für ihren Furor gefeiert würde. Vielmehr ist es chic geworden, Songsammlungen unter Titeln wie „Heimatkult – German Liedgut“ (Universal), „Neue Heimat“ (Ministry of Sound), „Heimatliebe“ (SonyBMG) oder „Klassenbeste – Generation Deutsch“ (EMI) auf den Markt zu werfen. Zu hören sind darauf keineswegs Protagonisten eines rechten Mainstreams, vielmehr jene Glückskinder des anhaltenden Deutsch-Booms, denen nur gemein ist, dass sie in ihrer Muttersprache singen.

Die Sterne und Tocotronic sind auf diesen Samplern gleich mehrfach vertreten. An beiden Bands führt kein Weg vorbei, wenn es um eine Besichtigung des jugendlichen Kosmos aus Anpassungsdruck, Selbstfindung und Anschlussbedürfnis geht. Auch „I Can’t Relax in Deutschland“ unterstützen die Zöglinge der „Hamburger Schule“ mit je einem Song. „Aber hier leben, nein Danke“, so die bittere Erfahrung von Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, während Spilker & Co ihre Sorglosigkeit bedauern, mit der sie durchs Leben gehen.

Etwas Überspanntes ist dieser Anthologie eigen. Von Kettcars kopfschüttelnder Reflexion darüber, dass es immer einen Dummen trifft, der am Ende schuld ist, bis zu Knarf Rellöms Ausrufung eines „Heavy No-Deutschland-Sounds“ und Kantes leiser Feststellung, „My Love Is Still Untold“ widmet sich die CD den seit Jahrzehnten immer gleichen Lamentos und Befindlichkeiten. Das ist streckenweise amüsanter Agitpop. Doch der Ungehorsam, sofern er sich überhaupt artikuliert, bleibt eine vage Geste.

Längst sind rebellische Gegenpositionen zur Kuschelecke Deutschpop vom Bedürfnis nach eben solchen Gegenpositionen entschärft worden. Da hilft nur, sich an die zu halten, die über jeden Zweifel erhaben sind. „Der Staat ist gebrochen/Matula, hau mich raus/ Du hast es mir versprochen“, fordert Superpunk aus Hamburg. Die letzte Hoffnung: der TV-Detektiv aus „Ein Fall für zwei“ .

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