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Kultur: Die kleine Vampirin

Zarter Schweden-Thriller: „So finster die Nacht“

Im schwedischen Winter sind die Nächte lang. Die Menschen tragen bleiche Gesichter durch laternenbeleuchtete Straßen. Und weil die Kälte niederträchtig und die Gegend oft trostlos ist, verschwinden sie rasch in ihren traurigen Mietskasernen. In diesem Umfeld gewinnt eine tageslichtscheue Spezies an Lebensqualität: die Vampire. Da die Tage sonnenarm und die blasswangigen Menschen kaum von Untoten zu unterscheiden sind, trauen sie sich heraus aus ihren dunklen Räumen. Und so kommt es, dass sich eines finsteren Tages im Februar 1982 auf einem schneebedeckten Spielplatz Oskar und Eli kennenlernen.

Oskar ist zwölf. Mit seinen strohblonden Haaren sieht er aus wie Michel aus Lönneberga. Er steckt ähnlich viel Prügel ein, ist aber leider nur halb so mutig. In der Schule wird er schikaniert und drangsaliert. Zurückzuschlagen traut sich der scheue Junge nur in der Phantasie. Gut, ab und an traktiert er mal einen unschuldigen Baum mit seinem Messer. Zu mehr reicht es aber nicht. Die schwarzhaarige Eli mit den dunklen Augenringen, gerade neu in die Gegend gezogen, ist ebenfalls zwölf. „Aber das bin ich schon sehr lange“, sagt die kleine Vampirin.

Mit diesem knappen Satz umreißt sie ein Gefühl, das sie mit vielen Vertretern der mythologischen Vampirfigur teilt: das ewige Eingesperrtsein in einem fremden Körper. Vermutlich liegt hier der Grund für den Hedonismus und das ausgeprägte erotische Verlangen des Vampirs: Warum sollte sich ein Gefangener sein Leben nicht mit leiblichen Genüssen versüßen? Auch Eli hält ihre Lust nur bedingt zurück. Einmal dringt sie sogar nachts in Oskars Zimmer ein und steigt nackt in sein Bett.

„So finster die Nacht“ ist ein zart-romantischer Vampirfilm, der über den Großteil seiner 114 Minuten erstaunlich unaufgeregt bleibt. Die Bilder sind so korrekt komponiert und ordentlich aufgeräumt, als wollten sie es der funktionalen Architektur der Stockholmer Wohnsiedlung gleichtun. Sicher, manchmal bricht Gewalt herein, blutig und unerwartet. Dann bespringt die kleine Vampirin ein Opfer und verbeißt sich in ihm wie eine tollwütige Katze. Oder die Kamera entblößt das verätzte Gesicht eines Mannes, der sich mit Säure übergossen hat. Oder es fliegt ein abgerissener Arm durchs Bild, warum auch nicht. Doch sind diese Momente weniger schockierend als irritierend, weniger grausam als grotesk.

Genau das ist es, was der 43-jährige Regisseur Tomas Alfredson als Begleitmelodie unter das romantische Hauptmotiv legt: die Groteske. Im Übrigen gehören Oskar und Eli zu den ungewöhnlichsten Liebespaaren des Kinojahres. Eine Frage bleibt allerdings offen: Was machen die beiden bloß, wenn die Winternächte vorüber sind und sich die lichtscheue Eli verkriechen muss? Im schwedischen Sommer sind die Tage lang.

Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66, Hackesche Höfe, Moviemento, UCI KInowelt Colosseum

Julian Hanich

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