zum Hauptinhalt

Kultur: Die Künstlichkeit der Paradiese

Frühlingserwachen in Mitte: Die Galerien Eigen + Art und Mehdi Chouakri zeigen Künstler als Gärtner und Botaniker beim Hacken und Jäten in Vaters GartenVON KNUT EBELINGDie Natur ist seit der Renaissance ein emsig produziertes Bild menschlicher Imagination.Wir nehmen die Natur ästhetisch wahr wie ein Kunstwerk; im Kunstwerk zeigt sich die künstliche Natur der Natur.

Frühlingserwachen in Mitte: Die Galerien Eigen + Art und Mehdi Chouakri zeigen Künstler als Gärtner und Botaniker beim Hacken und Jäten in Vaters GartenVON KNUT EBELINGDie Natur ist seit der Renaissance ein emsig produziertes Bild menschlicher Imagination.Wir nehmen die Natur ästhetisch wahr wie ein Kunstwerk; im Kunstwerk zeigt sich die künstliche Natur der Natur.Diese Künstlichkeit dessen, was wir als ursprünglich und naturgegeben empfinden, macht sich eine ganze Reihe zeitgenössischer Künstler zunutze.Unterstützt werden sie von einer Karawane von Ausstellungsprojekten, die nicht müde werden, uns die schale Wüste unserer wuchernden Naturvorstellungen vor Augen zu halten: Mutter Natur ist eine eingebildete Angelegenheit.Während diese Erkenntnis seit dem Beginn der Landschaftmalerei eigentlich nichts Neues mehr ist, kommt die Karawane mit dieser Botschaft unterdessen in Mitte an.Mit Olaf Nicolai in der wiedereröffneten Galerie Eigen + Art und einer Gruppenausstellung zum Thema "Domesticity", zu gut Deutsch Häuslichkeit, bei Mehdi Chouakri widmen sich gleich zwei Ausstellungen dem Frühlingserwachen in Sachen ästhetisch korrekter Naturwahrnehmung.Besonders Olaf Nicolai ist natürlich ein alter Hase auf dieser Spielwiese.Hier gräbt der Leipziger Künstler stets nach neuen Verbindungen des Natürlichen mit dem Künstlichen, um jede Differenz zwischen beiden am Ende zu untergraben.Auf der letzten documenta zeigte Nicolai eine durchdesignte Landschaftsarchitektur, die außer ihren wuchernden zeichengeschichtlichen Verweisen nichts mehr von der Begrünung einer Shopping-Mall unterschied.Mit dieser Arbeit, die ihn als einen der interessantesten und gefragtesten jungen deutschen Künstler auswies, war seine biologische Plastik auf einem Höhepunkt angelangt.Was würde, so fragte man sich, Nicolai nun tun, der immerhin einen Ruf als shooting-star der ostdeutschen Kunstszene und Musterschüler seines Galeristen Lybke zu verlieren hat?Kurz, Nicolai macht das Natürlichste und arbeitet so weiter wie bisher.Nur daß er dabei die frühere Geschlossenheit seiner Arbeiten in beliebigen Selbstzitaten aus dem weiten Feld zwischen Natur und Kultur verliert.Während Nicolais Grammatik der Sammlung früher eine faszinierende Saga erzählte von der Künstlichkeit entrückter Paradiese, so faßt er nun lediglich noch deren Thesen zusammen.Hier muß eine Spielzeugeisenbahnlandschaft als Beleg für die Konstruiertheit des Natürlichen herhalten; dort zwei großflächige Holzfurnierimitatpaneele, die schon Artschwager weniger deutungsdrängend verwandt hat.Doch eine These wird durch angehäufte Belege nicht spannender und auch nicht richtiger: Die zu Beispielen degradierten Arbeiten wirken in ihrer Anhäufung nur beliebiger.Diesen peripheren Arbeiten Nicolais fehlt jene Ambivalenz, die die beiden anderen Werke der Ausstellung auszeichnet: In "Blütenschnitte / body slam" nimmt er verschiedene Videoaufnahmen eines immergleichen Wrestlingwurfes so auseinander, daß die durch die Luft wirbelnden Körper in ihrer Verfremdung das Bild einer aufgehenden Blüte ergeben.Und in "Modul", dem gewichtigsten Werk der Ausstellung, baut Nicolai im frischrenovierten Empfangsraum der Galerie ein quadratisches Beton-Sitzbankmodul aus einem Garten in Manhattan in einer Weise nach, die sein Werk plötzlich in Richtung jener popkulturellen Trendallianz umkippen läßt, die noch jeden zweiten Plastiker der letzten Saison zum Möbeltischler dieser Saison hat werden lassen.Mit diesem Architekturzitat, aus dessen Mitte wenigstens noch die tropisch-technischen Pflanzen wachsen, die man von dem Botaniker kennt, kann man es sich nun auch bei Olaf Nicolai bequem machen.Ein paar Häuser weiter landet man vom mondialen Architekturzitat daheim in Nachbars Garten.Auch in der Galerie von Mehdi Chouakri geht es um die Grenze zwischen Kultur und Natur, hier: zwischen Heim und Garten.Doch die Schwellenlosigkeit eines nur fingierten Übergangs wird von den Künstlern der Gruppenausstellung Domesticity weniger didaktisch durchgeführt, als dies bei Nicolai der Fall ist.Man wählt lieber das Fallbeispiel von nebenan als Kunsthistorikers Arkadien.So fotografiert beispielsweise die Schwedin Annika Ström jemanden, der den Garten besorgt.Ein Mann mit Bauch hackt und jätet, tut und macht.Das sieht aus wie Schnappschüsse in Vaters Garten (je 2000 DM), doch der ist begrenzt: Die Weite der Natur endet am Nachbarzaun.Dabei universalisiert die Anonymität des Gärtners seine Tätigkeit.In der mit Hacke und Spaten bewaffneten Arbeit geht es um eine Domestizierung der Welt, die die Natur auf ein dem Menschen gerechtes Bild zurechtstutzt.Mit anderen Worten, hier sieht man eine Person genau die Arbeit der Formalisierung durchführen, die die Wahrnehmung der Natur seit der Renaissance kennzeichnet.Olav Westphalen, ebenfalls ein Routinier in Sachen künstlerischer Landschaftsgestaltung, lädt mit einigen "Designs for Wallpapers" (je 2000 DM) in Form von Feuerchen, Wölkchen und Holzscheiten ebenfalls dazu ein, das Draußen hereinzuholen.An der Grenze zwischen Außen und Innen, wo die Natur auf der Tapete in Kultur umschlägt, weist das Wallpaper von Westphalen - ebenso wie Nicolai mit seinem "Modul" - auf die Standardisierung von Natur hin, die einer bestimmten Norm entsprechen muß, um dem Menschen zu gefallen.Erst wenn die Natur zum abziehbildhaften Klischee geworden ist, also erst wenn das Bild des Außen unserer inneren Vorstellung unterworfen ist, kann sie schön sein.Vielleicht um diese ungreifbare Schwelle zwischen Außen und Innen näher zu bestimmen, hat Westphalen in einer zweiten Arbeit einen samtroten Vorhang mitten in den Galerieraum gehängt (5000 DM). Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26, bis 30.Mai, Dienstag bis Freitag 14-19 Uhr, Sonnabend 11-17 Uhr; Galerie Mehdi Chouakri, Gipsstraße 11, bis 6.Juni; Dienstag bis Freitag 14-19 Uhr, Sonnabend 13-17 Uhr.

KNUT EBELING

Zur Startseite