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Bilder des Künstlers Tonel in den Kunstwerken.

© dpa

Die Kunst-Werke zur Berlin-Biennale: Das Innen und das Außen

Indien, Südafrika, China: Die Kunst-Werke in Berlin-Mitte wollen zur 8. Biennale in der Hauptstadt abbilden, was in der Welt passiert.

Es ist ein hübsches, aber unspektakuläres Foto. Ein blauer Himmel mit weißen Wölkchen und mittendrin eine eckige Form. Shilpa Gupta hat sie mit hellem Stift in die Aufnahme gezeichnet. Als feine Linie, die sich kreisförmig schließt. So macht die Künstlerin, die in Indien lebt und arbeitet, mit einer schlichten Geste vor, wie einfach das ist: ein Innen und Außen herstellen. Das eine inkludieren, das andere ausschließen. Obwohl der Himmel auf beiden Seiten gleich blau ist.

Gupta, Jahrgang 1976, erzählt in den Kunst-Werken von Enklaven entlang der Grenze zwischen Indien und Bangladesch. Jene Chitmahals genannten Areale sind das Ergebnis willkürlicher Entscheidungen, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahmen und in der britischen Kolonialzeit noch einmal für neue geopolitische Verhältnisse sorgten. Heute gehören diese Inseln zu den Konfliktzonen des Landes, beide Länder boykottieren sich gegenseitig bei der Entwicklung der Regionen, ausbaden müssen es ihre Bewohner. Kommt einem das, zumal in Berlin, nicht bekannt vor?

Dass die Stadt in ihren Konturen seit über zwei Jahrzehnten wiederhergestellt ist, mag für die Republik gut und wichtig gewesen sein. Im kontinentalen Gefüge ist dieses Ereignis kaum mehr als ein Windhauch. Indien und Bangladesch verfügen zusammen über 200 Chitmahals. Shilpa Gupta hat sie alle bereist und fächert die komischen, absurden, gefährlichen Aspekte des Alltags anhand von Videos, Fotografien oder Zeichnungen auf. So setzt sie Geschichte in Relation.

Ein perfektes Exempel für die Absichten von Juan A. Gaitán. Berlin bildet ab, was in der Welt passiert. Und die Welt antwortet in den Sprachen jener Künstler, die der Kurator für seine aktuelle Biennale ausgewählt hat. In den Kunst-Werken sind dies unter anderem Leonor Antunes, die zwischen Lissabon und Berlin pendelt und nun fast eine ganze Etage mit ihren Objekten füllt: überaus ästhetischen Mobiles und Skulpturen, mit denen sie die Welt vermisst. Oder Bianca Baldi, die 1985 in Johannesburg geboren wurde und gegenwärtig in Frankfurt am Main wohnt und arbeitet. Schließlich Santu Mofokeng, der aus Johannesburg stammt und dort auch lebt.

Mofokeng war schon 2002 auf der Documenta in Kassel vertreten – exakt zu einer Zeit, als die Kuratoren dort mit dem auf Europa zentrierten Blick zugunsten einer globalen Sicht brachen. Diesmal zeigen die Fotografien des Künstlers staubige Landstriche, in denen alte Steingräber verlegt werden, um Platz für Industrie oder Bergbau zu schaffen. „Under Construction“ heißt es auf einem im Wind flatternden Band, das sich durchaus symbolisch lesen lässt: Hier wird Historie umgeschichtet. Südafrikas Gedächtnis leidet unter Demenz.

Um so klarer mit der Vergangenheit vernetzt sich Gaitán, wenn er den fast 60 Jahre alten Künstler zwischen die anderen, weit jüngeren Teilnehmer platziert. Seine zweite Vergewisserung zurück zielt unmittelbar auf das Gebäude: die Kunst-Werke als „traditionelles Epizentrum“, das „die Konzentration von Kultur in diesem inneren Stadtbezirk ganz besonders“ verkörpert. Wie wichtig die einstige Margarinefabrik für die Entwicklung Berlins zum Hotspot der internationalen Kunstszene war, macht eine kurze Recherche selbst jenen klar, die ihren Aufstieg nicht miterlebt haben. Die anderen halten dafür aus Gewohnheit am alten Namen fest, obwohl sich die Institution längst KW Institute for Contemporary Art (KW) nennt. Auch ein Versuch, mehr Internationalität zu verströmen und sich von lokalen Bezügen zu lösen.

Wer die ganze Biennale sehen will, muss nach Dahlem fahren

Die Videoarbeit „The Strangers“ von David Zink Yi. Er hat dafür mehrere Wochen in einer peruanischen Silbermine in 5000 Meter Höhe gefilmt.
Die Videoarbeit „The Strangers“ von David Zink Yi. Er hat dafür mehrere Wochen in einer peruanischen Silbermine in 5000 Meter Höhe gefilmt.

© Biennale/Anders Sune Berg

Gaitán treibt diesen Prozess fort, wenn er die räumlichen Gegebenheiten zerstört. Den gewohnten Eingang hat er verschlossen, die Ausstellung betritt man durch eine Seitentür mit alter Holzstiege. Der Rundgang führt durch einen dunklen Videoraum, in dem sich Minenarbeiter in dem Video „The Strangers“ (2014) von David Zink Yi scheinbar an die Demontage der Wände machen: laut und mit viel bröckelndem Gestein. Wo sonst im Erdgeschoss die Halle anschließt, versperrt eine deckenhohe Wand jede Durchsicht. Und statt großer, raumgreifender Arbeiten hängen hier ausgerechnet die winzig kleinen, botanischen Bleistiftzeichnungen von Irene Kopelman.

Solche Kunstgriffe sind durchschaubar und überraschen nicht wirklich. Für mehr Verblüffung sorgt dann schon ein kleiner, integrierter Raum, in dem der Künstler, Karikaturist und Kunsthistoriker Tonel vom Kalten Krieg erzählt. Kontrafaktisch, versteht sich, dafür mit unglaublichem Humor und tolldreisten Ideen wie einer unterirdischen Raketenstation in Havanna, für die er eindeutige fotografische Beweise herbeibringt.

Der Aufstieg in die nächsten Stockwerke der Institution bringt noch mehr solcher großen, sinnlich erfassbaren und dennoch kritischen Arbeiten. Etwa die Videos von Li Xiaofei über mechanisierte Produktionsprozesse und menschliches Kapital in Gestalt von Arbeitskräften – eine eindringliche Installation, die unwillkürlich an die frühere Funktion der Räume denken lässt. Ähnlich überwältigt „Look. Look Away. Look Back“ (2014), ein multimediales Werk von Judy Radul, das mit den Ausstellungsorten spielt. Per Video holt die kanadische Künstlerin, Jahrgang 1962, das Ethnologische Museum nach Mitte und lässt dort vermeintliche Besucher zwischen farbigen Vitrinen und Objekten aus der Südsee-Sammlung spazieren. In den KW einige Kilometer entfernt finden sich die bunten Displays für die Ausstellungsstücke wieder – hier allerdings leer bis auf ein paar Taue, die wie Schlangen durch Terrarien kriechen. Die Flaneure in Dahlem sind gecastet, das wird klar, wenn man den auf Leinwand projizierten Gestalten länger zuschaut: Ihre Gesten wirken gestellt, die Blicke verweilen zu lange und offensiv interessiert auf den Objekten. Den Kontrast dazu liefern die echten Mitbesucher in den Kunst-Werken, die ratlos vor den Seilen stehen und sich durch Texte lesen, die Judy Radul ebenfalls in die Vitrinen gelegt hat. Es sind kleine Abhandlungen etwa von der amerikanischen Philosophin Judith Butler über den Blick – und wie er sich die Wirklichkeit konstruiert.

Im Werk von Judy Radul verschmelzen aber nicht allein die Ausstellungsorte. Ihre Verbindung ist essenziell, der eine ohne den anderen zu wenig. Die Berlin Biennale nennt die KW in ihrem Kurzführer als „letzte Station in einer empfohlenen Ausstellungsroute“. Tatsächlich muss man nach Dahlem fahren. Wer glaubt, er bekäme im Zentrum der Stadt einen schönen Querschnitt der Biennale geboten, wird für seine Bequemlichkeit mit einem Ausschnitt abgespeist, der für sich genommen zwar sehenswert ist. Der einen aber auch hungrig zurücklässt.

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