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Kultur: Die Legende von Darwins Finken

Schnabel für Schnabel: Die Bedeutung der Vögel für die Evolutionslehre erkannten erst spätere Forscher

Von Matthias Glaubrecht Galápagos ist gleichsam Evolution in einer Nussschale. Der Archipel im Ostpazifik, rund eintausend Kilometer vor der Küste Südamerikas gelegen, bietet mit seiner einzigartigen Tier- und Pflanzenwelt eine überschaubare Bühne, auf der die Natur ihr Meisterstück inszeniert: das immerwährende Spiel von Anpassung, Auslese und Artenbildung. Der Kombination dieser Prozesse verdanken wir überall auf der Erde die bunte Vielfalt des Lebens – die Biodiversität.

Um Galápagos indes ranken sich bis heute Wissenschafts-Legenden, insbesondere um die nach Charles Darwin benannten Finken des Archipels. Sie sollen den britischen Naturforscher und Begründer der Evolutionstheorie einst inspiriert haben, so steht es in vielen Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Darstellungen. Fest steht: Während seiner berühmten Weltreise von 1831 bis 1836 an Bord des Vermessungsschiffes Beagle hat Darwin im September und Oktober 1835 für fünf Wochen auch jenen unwirtlichen Inselarchipel westlich von Ecuador besucht, wo er unter anderem die beinahe handzahmen Finken auf vier der insgesamt 32 Inseln des Archipels beobachtete – und für seine Sammlung schoss.

Wissenschaftshistoriker fanden jedoch durch akribische Suche in alten Dokumenten Darwins heraus, dass dieser auf Galápagos keineswegs jenes Heureka-Erlebnis hatte. Die später nach ihm benannten Finken hat Darwin anfangs kaum wahrgenommen. In seinem 1859 erschienenen, epochalen Werk „Über den Ursprung der Arten“ – gewissermaßen die Bibel der Evolutionsforscher – erwähnt Darwin die Finken mit keinem Wort und erwähnt Galápagos nur am Rande.

Die Legende von den Darwinfinken entlarvte der amerikanische Wissenschaftshistoriker Frank Sulloway von der Harvard University. Anhand von Darwins Tagebuchaufzeichnungen und späteren Notizen zur Entstehung seiner Theorie vom Wandel der Arten konnte Sulloway zeigen, dass Darwin die Bedeutung der sperlingsgroßen Finken des Galápagos-Archipels für seine Theorie erst allmählich erkannte. Immerhin vermerkt Darwin nach dem Stopover auf Galápagos – mehr beiläufig als ahnungsvoll – in seinem Reisetagebuch, dass die auf dem Archipel zu gewinnenden Erkenntnisse die Vorstellung von der Konstanz der Arten untergraben würden.

Erst als ihn nach seiner Rückkehr in London der britische Vogelkundler John Gould im März 1837 über die später nach ihm benannten Finken von Galápagos aufklärt, wird Darwin jedoch klar, was er vor Ort auf Galápagos verpasste. Gould, dem Darwin seine Vogelsammlung zur Bearbeitung überließ, erkannte, dass es sich bei den Finken nicht um völlig verschiedene Vogelformen handelt. Vielmehr sind es ein Dutzend Arten von Grundfinken, die alle zur gleichen Gattung Geospiza gehören. Trotz nächster Verwandtschaft haben sich ihre Schnäbel auf ungewöhnlich vielseitige Weise umgestaltet, so stark wie sonst nur bei unterschiedlichen Vogel-Familien. Wenige Wochen später, im Sommer 1837, begann Darwin daraufhin mit Eintragungen in jenem berühmten Notizbuch, in dem er die ersten Gedanken zur Veränderlichkeit der Arten skizzierte – der Anfang vom Ende des Kreationismus.

Erst ein Jahrhundert nach Darwin erkennt allerdings der britische Ornithologe David Lack, wie mustergültig die Galápagosfinken die Wirkungsweise der Evolution demonstrieren. Lack legte in den 1940er-Jahren nach intensiven Studien auf Galápagos die Grundlage für die heutige Berühmtheit von Darwins Finken, die sie ihren Schnabelformen verdanken. Zum Knacken harter Pflanzensamen braucht ein Fink ein anderes Werkzeug als sein Vetter, der beispielsweise kleine Raupen aus Rindenritzen pult. Jede Finkenart hat sich an einen bestimmten Ausschnitt ihrer Umwelt angepasst und vermeidet dadurch die Konkurrenz mit den nächsten Verwandten. So formten sich im Verlauf dieses evolutionären Prozesses bei den Finken Zangen, Nussknacker und Pinzetten.

Unter den baum- und bodenbewohnenden Finken gibt es neben Samen- und Insektenfressern auch Arten, die Früchte und Blätter fressen, sowie solche, die gemischte Nahrung bevorzugen. Bei den auf Samen spezialisierten Darwinfinken haben einige kräftige und klobige Schnäbel, andere feinere und kleinere Schnäbel, die nur zum Öffnen winziger und weicher Samen taugen; Insektenfresser besitzen schlanke und dünne Schnäbel, während der Spechtfink sogar einen Kaktusdorn zu Hilfe nimmt, um unter Borke nach Insektenlarven zu bohren. Die Schnäbel der Darwinfinken sind damit so unterschiedlich wie in Mitteleuropa die von Kernbeißer, Spatz, Grasmücke und Specht, die zu ganz verschiedenen Vogelfamilien gezählt werden.

Dass die Galápagos-Finken es mit ihrer Evolution eilig hatten, belegen jüngste Erbgut-Vergleiche. Sie zeigen, dass die Finken tatsächlich vor weniger als zwei Millionen Jahren von Südamerika aus auf die Inselgruppe verdriftet wurden. Erst dort hat sich die Gründerpopulation dann zu den heutigen Finkenarten entwickelt. Der aus zahlreichen Inseln gebildete Archipel, bis dahin frei von Konkurrenten, lieferte beste Voraussetzungen für die Evolution neuer Arten.

Bis heute sind Forscherteams mit den Feinheiten dieses evolutiven Prozesses der Artenbildung auf dem Galápagos-Archipel beschäftigt. Sie untersuchen vor allem die Wechselwirkungen mit der sich dynamisch verändernden Umwelt auf den Inseln. Unterschiede im Verhalten, im Schnabelbau und in der Nahrung ermöglichen es dabei immer wieder anderen Vogelgruppen zu überleben. So haben sich – wenngleich erst nachträglich – Galápagos und seine ungewöhnlichen Finken doch noch als ein Darwinsches Paradebeispiel für Evolution in Aktion erwiesen.

NACH DEM STUDIUM

1831 beendete Charles Darwin in Cambridge sein Theologie-Studium. Beschäftigt hatte er sich auch mit Medizin, Biologie und Geologie.

AUF DEM SCHIFF

Im selben Jahr wurde Darwin Begleiter des Kapitäns Robert FitzRoy, der die Küstenlinie Südamerikas kartieren sollte – eine fünfjährige Expedition begann.

DIE ROUTE

Die Reise mit der HMS Beagle führte unter anderem zu den Kapverdischen und den Falklandinseln – und den Galápagos-Inseln.

GALAPAGOS

Im Herbst 1835 verbrachten Darwin und FitzRoy 5 Wochen auf den Galápagos-Inseln. Beide sammelten die Finkenarten des Archipels.

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