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Kultur: Die letzte U-Bahn

Eine Panikattacke von Peter Laudenbach

Wer im deutschen Stadttheater immer öfter unter Anfällen von Atemnot, Klaustrophobie und Tiefschlaf leidet, kann zur Zeit aufregende Ausflüge machen. Zum Beispiel nach Afrika oder in den Libanon. Eine SBahnfahrt zum Haus der Kulturen der Welt in Berlin genügt. Da sind sie, die anderen Kulturen, die Entdeckungen, Abschweifungen. Tanztheater aus Peking, Voodoo-Priester aus Benin, Masken-Spiele aus Indonesien beim In-Transit-Festival. Aber mit dem Geist des deutschen Stadttheaters ist es wie mit Grippe-Bakterien, dem Neoliberalismus oder Dieter Bohlen: Es gibt kein Entkommen vor ihm. Es setzt sich überall fest. Es ist immer schon da. Und tut so, als sei es diesmal ganz besonders wild, jung und abenteuerlustig. Dabei ist es natürlich nur das öde, alte Stadttheater. Bei „In Transit“ hat es sich, – originell, originell – in der Baustelle der so genannten „Kanzler-U-Bahn“ am Reichstagsgebäude eingenistet. Irgendwie passend. Schließlich läuft ja der prächtige U-Bahn-Bau auch unter der Rubrik „Verschwendung von Steuergeldern“.

Angeblich geht es bei der „Underground“-Show um den Giftgas-Anschlag der Aum-Sekte auf eine U-Bahn-Linie in Tokio. Aber natürlich geht es in Wirklichkeit nur um das deutsche Stadttheater, das aufgeregt Event spielt und sich an der – Achtung Brechreizvokabel – „Location“ berauscht. Und so marschieren dann in diesem – noch so ein Wort ! –„Projekt“ Passanten im Schlagschatten die Betonfläche entlang. Aha, Rush-Hour, Anonymität der Großstadt, Zivilisationskritik. Irgendwelche Lichteffekte und ein pompöser Soundtrack signalisieren Bedeutungsschwere. Über große Videobeamer kann man zwei der tollsten deutschen Schauspielerinnen, Judith Engel und Bibiana Beglau, dabei zusehen, wie sie ihr Talent darauf verschwenden, Null-Sätze mit Routine-Pathos zu sprechen. Mit dem Giftgasanschlag, gar einer Auseinandersetzung mit dem globalen Terrorismus hat das alles natürlich nichts zu tun. Eher mit der Dekadenz einer von sich und der Welt gelangweilten Subventionskultur. Darauf eine Ladung Caipirinha aus der Bar am Bühnenrand, wo sich die Premierenbesucher über den verlorenen Abend (und die Kälte) hinwegtrösten konnten.

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