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Kultur: Die Liebe schlägt zurück

Alban Nicolai Herbst darf nicht aus seinem neuen Roman vorlesen

Früher begann der Tag des Dichters romantisch mit Milchkaffee und einer Schusswunde, heute mit richterlichem Eilbeschluss, der dem Dichter unter Androhung eines sechsstelligen Ordnungsgeldes – „ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten“ – untersagt, öffentlich aus seinem neuem Roman vorzulesen. Nach Maxim Biller mit seinem umstrittenem Roman „Esra“ heißt nun das neue Dichteropfer Alexander Michael von Ribbentrop, und verhandelt wird die Sache diesmal nicht in München, sondern vor dem Berliner Landgericht. Unter seinem echten Namen blauen Geblüts ist der Dichter Justitia bekannt. Freunde fantastischer Literatur („Wolpertinger oder Das Blau“) ist sein Poetenname geläufiger: Alban Nikolai Herbst. Was hat Alban Nikolai Herbst in seinem neuen Buch „Meere“ verbrochen (mare Verlag, Hamburg 2003, 261 Seiten, 22 Euro)?

Dass sein Großonkel Joachim von Ribbentrop Hitlers Außenminister war, mag die Streitsache heute wohl kaum erklären. Auch wenn Herbst in „Meere“ mit seiner Herkunft virtuos spielt – ein gewisser Julian von Kalkreuth flieht im Roman seinen Nazi-befleckten Namen und erfindet sich als Maler Fichte neu –, hat er keinen politisch einfühlsamen Familienroman geschrieben, der politisch alarmistische Gemüter beunruhigen könnte, sondern einen grell überschminkten Künstlerroman. Der mare Verlag bewirbt ihn als „literarischen Amoklauf gegen die billigen Kompromisse, vermeintlichen Kompromisse und bequemen Lebenslügen der Gegenwart“.

Der Klagegrund ist weder politisch, noch fantastisch, sondern zuhöchst irdisch und trägt in „Meere“ auch einen ganz irdischen Namen – „Irene“. „Irene“ ist im Text die Verflossene des Malers Fichte, und offenbar meint jemand, sich in „Irene“ wiederzuerkennen, wehrt sich nun vor dem Berliner Landgericht dagegen, rittlings lustvoll zum literarischen Spielmaterial ihres Ex zu verkommen. „Schlag mich, Schlag mich!“

Wie soll man nun über ein Buch sprechen, aus dem öffentlich nicht gelesen werden darf? Vor diesem Problem standen am Mittwochabend im Berliner Literaturhaus Alban Nikolai Herbst und sein Moderator. Der Dichter kam locker-sommerlich im gelben Fruit-of-the-loom-T-Shirt und rauchte Zigarre, war aber innerlich sichtbar angespannt. Es war eine bizarre Situation; ein Anwalt wachte im Publikum darüber, dass auf dem Podium nicht doch noch gelesen wurde. Der Dichter hob einmal zum auswendigen Rezitieren an, um eine These zu belegen – da schritt auch schon der Moderator ein. So wichtig, verbindlich und unmittelbar nehmen in aller Regel freie Gesellschaften nicht ihre Literaten, sondern nur Diktaturen – oder eben abgelegte Geliebte.

Ernstfall Poesie diesmal im Literaturhaus. Alban Nicolai Herbst ist sicher nicht die literarische Unschuld vom Lande; er schreibt sehr männlich und ist das Gegenteil von dem, was Maxim Biller in einer Verve gegen den Pop die „Schlappschwanzliteraten“ nannte. Aber auch wenn beide auf dem männlichem Ticket fahren, der Vergleich mit Billers „Esra“ hilft ansonsten wenig weiter. „Esra“ war eine übersäuerte Abrechnung, wenig souverän geschrieben und mit so vielen Merkmalen auf die echte „Esra“ gespickt, um deutlich zu verletzen und den Skandal dazu einzuheimsen. „Meere“ dagegen schielt nicht nach den neuesten Authentizitätsprämien, ist weniger realistisch als magisch geschrieben. „Irene“ braucht sich keine Sorgen zu machen; handelt es sich doch recht eigentlich um eine große Liebeserklärung. Nach dem Gespräch im Literaturhaus wollte jeder die große Liebesgeschichte kaufen. Auch wenn aus Herbsts Buch nicht öffentlich gelesen werden darf, gekauft werden kann es einstweilen – und nach ein paar Minuten waren am Büchertisch alle Exemplare vergriffen.

Stephan Schlak

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