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Kultur: Die Liebe von gestern, die Liebe von morgen

Schönheit kann man nicht erklären: das magisch-melancholische Filmmelodram „2046“

Vielleicht ist er der größte Melancholiker des zeitgenössischen Kinos. Und der größte Erotiker dazu. Und das in einer Epoche, die von beidem nicht mehr sehr viel zu verstehen scheint. Nicht von der Traurigkeit. Nicht vom Erinnern. Und die Erotik verwechselt sie auch zu oft mit Sex. Das alte Europa war einst Spezialist für Morbidität, für Untergänge aller Art. Vorbei. Und nun kommt ausgerechnet ein Hong-Kong-Chinese und entdeckt das alles neu. Und wir entdecken es mit ihm.

Er hat Filme gemacht wie „Chungking Express“ oder „Fallen Angels“, Liebeserklärungen an Hongkong, seine Heimatstadt. Aber wohl erst mit „In the Mood for Love“ gehörte sein Name plötzlich zu denen, die man kennt. Die man kennen muss. Genauso, wie man „In the Mood for Love“ gesehen haben musste, diesen Film über die konventionellste aller Geschichten. Eine Liebe, und er kriegt sie nicht. Das ist die ganze Botschaft. Die sehr großen Lieben gehen immer sehr schlecht aus, genau wie das Leben. Es endet jedesmal mit dem Tod.

Warum gleich ein Drama daraus machen? Eigentlich sind wir unempfänglich geworden für diese Botschaften der Schwere. Und wenn wir sie doch empfangen sollen, dann sollte das Schwere ruhig ein bisschen leicht sein. Etwas witzig vielleicht. Wong Kar-wai ist ungefähr so witzig wie eine Wagner-Oper. Er ist auch ungefähr genauso schwer. Und – und darauf kommt es wohl an – auch ungefähr genauso schön. Oft sind Liebesgeschichten ein dramaturgisches Mittel, um etwas ganz anderes zu erzählen. Verpacke es einfach in eine große Liebe! Wong Kar- wai aber wollte nur den nackten metaphysischen Fakt der Liebe. Aber nackt ist das ganz falsche Wort. Vielleicht ist Wong Kar-wai auch einer der größten Konfektionisten des zeitgenössischen Kinos. Er be- und um- und verkleidet diesen nackten metaphysischen Fakt. Er webt kostbarste Rüschen aus Bildern. Er scheint Walter Benjamin genau zu kennen: Das Absolute ist viel eher eine Rüsche am Kleid als eine Idee.

Aber Rüschen bedeuten natürlich auch Risiko. Zuerst das Risiko des Kunstgewerbes. Schon bei „In the Mood for Love“ rief eine spielverderberische innere Stimme immerzu: Kunstgewerbe! Kunstgewerbe! Es war ein Wort wie Ketzerei inmitten der allgemeinen Begeisterung. Menschen sind so intolerant, wenn sie lieben, egal ob es sich um andere Menschen oder um Filme handelt. Und „2046“ ist in gewissem Sinne die Fortsetzung von "In the Mood for Love", inhaltlich und optisch auch.

Die Hauptfigur ist der Liebende Chow (mit dem melancholischen, vergangenheitstiefen Blick aller Liebenden: Tony Leung). Erst in „2046“ erhält er eine nähere Bestimmung und überhaupt einen Beruf, nämlich den des Journalisten. Wobei hier diese Profession das Verfassen von Pornos ausdrücklich einschließt. Vielleicht um der kongenialen Arbeitsatmosphäre wegen zieht Chow in ein Hotel, das von einem Bordell nicht recht zu unterscheiden ist. Auch geschichtlich ist beides schließlich etwa gleich ursprünglich. Chow möchte unbedingt ins Zimmer „2046“, schon weil die Zahlenmagie die Primär-Magie ist, außerdem ist dort gerade eine schöne Frau gestorben, die Chow kannte. Oder gekannt haben könnte. Vielleicht sogar sehr gut. Außerdem muss Chow in die „2046“ ziehen wollen, um wenigstens eine Verbindung zum ursprünglichen Filmprojekt herzustellen.

„2046“ klingt nicht ganz zufällig wie „1984“. Eigentlich sollte es ein Film über die Zukunft werden. Ein richtiger Science Fiction über eine Zeit, da wir uns alle auflösen werden in lauter Geschwindigkeiten und ein riesiges Eisenbahnnetz den Planeten überziehen wird. Aber Wong Kar-Wai hatte dann doch keine Lust mehr auf die Zukunft. Futuristen sind ohnehin nur vorwärts gerichtete Antiquare – niemand weiß das so gut wie der Melancholiker. Also machte Wong Kar-wai lieber gleich mit der Vergangenheit weiter, mit den Sechzigerjahren und der Stadt, die er liebt, Hongkong. Jedem anderen hätte man soviel Unordnung um die Ohren gehauen.

Aber ist organisierte Unordnung nicht ein anderer Name für Musik? Nichts passt. Alles passt. Film ist Schnitt, ist Komposition. Was in jedem Augenblick auseinanderzufallen scheint in alle Einzelteile, setzt sich im nächsten wieder neu zusammen. Niemand muss Angst haben vor dem Geständnis, „2046“ nicht ganz verstanden zu haben – rein handlungstechnisch. Die schönsten Frauen des asiatischen Kinos gruppieren sich um Chow – Zhang Ziyi, Gong Li, Faye Wong, Maggie Cheung. Die schöne Zimmernachbarin, die sich für Chow zur Zehn-Dollar-Hure erniedrigt, nur um im nächsten Moment ihn zu ihrer Hure zu erklären. Es ist wie in der vielleicht schönsten aller Opernarien, in „Casta Diva“ aus Bellinis „Norma“, die Wong Kar-wai unter seine Bilder legt. Man kann diese Schönheit nicht erklären; die Frage ist nur, ob man ihr standhält. Es ist eine gegenseitige Steigerung von Bild und Ton, bis man die Bilder hören und die Musik sehen kann.

Alle Erinnerungen sind Tränenspuren, heißt es in „2046“. Wong Kar-wai mag solche Sentenzen, er hat noch mehr davon, eigentlich zu viele. Aber seine Bilder lösen sie ein. Was haben wir eigentlich gegen das Kunstgewerbe? Wong Kar-wai ist auf wunderbar abenteuerlich-zukünftige Weise von gestern.

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