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Vollmond

© Paul Zinken/dpa

Die Literatur und der Mond: Die schönste Leiche im Universum

Mysteriös, romantisch, unheimlich: Joachim Kalka entwirft eine brillante Motivgeschichte des Mondes in der Literatur.

Der Mond macht’s vor: Es gibt nicht nur die satte, abgerundete Form, sondern auch die elegante, schmale Sichel. Joachim Kalkas Essay über den Mond in der Literatur kommt mit sichelschlanken hundert Seiten aus. Und doch ist der Reichtum an Motivforschung und Lesefrüchten, der hier ausgebreitet wird, eine runde Sache.

Niemand kann bezweifeln, dass der Mond in der Literatur ein Zentralgestirn ist, wenn es um die Beleuchtung von Liebesszenen oder Schauplätzen des Verbrechens geht, um romantische Stimmungsmache oder das Nächtlich-Unheimliche. In der Literatur stellt der Mond die Sonne in den Schatten. Joachim Kalka führt diverse Tonlagen der lyrischen Mondanbetung vor, von Eichendorffs frommem lyrischen Mondzauber bis zu Morgensterns „Galgenlieder“-Grotesken, wo der Trabant als „schweflige Hyäne“ firmiert. Und wo es heißt: „Aus den Kratern aber steigt / Schweigen, das sie überschweigt“. Auch diese todesgleiche Stille des Mondes, der als kosmische Leiche seit Urzeiten um die Erde kreist, hat zahllose Dichter inspiriert.

Im Werk Arno Schmidts etwa gibt es mehr originelle Mondmetaphern und Mondutopien als bei jedem anderen Autor der Bundesrepublik: „Es wäre nicht mehr als recht und billig, einen Mondkrater nach mir zu benennen“, meinte er deshalb einmal. Tschechow aber war bereits des Mondscheins in der Literatur überdrüssig und wollte zur Klischeevermeidung nur noch dessen Andeutung erlauben, etwa als Lichtreflex auf einer Flaschenscherbe in der Nacht.

Der wandelbare Mond als Signum menschlicher Verwandlungen

Das Motiv des Diebstahls ist mit dem Mond verbunden, der sein Licht von der Sonne holt und selbst nur ein der Erde abgesprengter Materieboller ist. Vladimir Nabokov inszeniert dieses Motiv raffiniert in seinem Meisterwerk „Pale Fire“ – schon das „fahle Feuer“ des Titels verweist auf den trügerischen Trabanten. Das Unheimliche des Mondes verbindet sich im Übrigen meist nicht mit seiner Sichelgestalt; Spukhaft-Mysteriöses ereignet sich vielmehr in Vollmondnächten. Dann werden aus unscheinbaren Bürgern Werwölfe. Der wandelbare Mond ist das Signum menschlicher Verwandlungen. Und der Vergänglichkeit: „Es kann doch nicht immer alles so bleiben / hier unter dem wechselnden Mond …“, heißt es bereits in einem 200 Jahre alten Schlager von Kotzebue.

Kalkas Motivforschung zeigt, dass der Mond nicht nur von den Menschen begehrt und schließlich erobert wird; oft erscheint er im Gegenzug als Beobachter und Manipulator der Menschenwelt, vor allem durch seine erotische Strahlkraft; auch mit Wahnsinn und Magie ist er eng verbunden. Vom „verruchten deutschen Mond“ verfolgt fühlt sich ein preußischer Jurist in Wilhelm Raabes Erzählung „Deutscher Mondschein“, die es Kalka besonders angetan hat. Deutscher Mond? Ja, hierzulande hat der Mond eine herbe Note und ein maskulines Geschlecht; ihm geht das weibliche Wesen der Luna ab, das in anderen Sprachen zur Geltung kommen mag. Mehr noch, der universale Mond zeigt bei seinem literarischen Erscheinen meist ausgesprochen lokale Prägung. Man denke allein an Brecht: an den Bilbao-Mond, den Mond von Alabama, den Mond über Soho...

Ein empfehlenswertes Luminarium

Ein großes Thema sind die fantastischen Mondreisen. Münchhausen klettert auf einer gewaltig wuchernden Bohnenranke zum Mond, um seine versehentlich dort hinaufgeschleuderte Axt zu holen. Vielfach kommt es zum Aufstieg per Strickleiter, später (etwa bei Jules Verne) schießen Kanonen die Unerschrockenen hinauf; Snoopy reist auf seiner Hundehütte zum Mond. Im sinistren Märchen, das die Großmutter in Büchners „Woyzeck“ erzählt, erweist sich der Mond für das durch den Himmel irrende Kind als ein Stück „faules Holz“. Desillusionierend haben am Ende auch die realen Mondlandungen gewirkt. Die Utopien der Besiedelung haben seitdem ziemlich ausgedient. Völlig kontrafaktisch lässt sich eben nur schwer fabulieren.

Der 1948 geborene Joachim Kalka vermutet, dass die polemischen Verschwörungstheorien, nach denen die Mondlandung in Hollywood aufgenommen worden sei, auch eine Reaktion auf diese wissenschaftliche Ernüchterung seien. Der Mond soll doch, bitte schön, seine ganze Kraft als Zeichen und Katalysator kosmischer Fantasien behalten. So umreißt der Autor die verschiedenen literarischen Bedeutungshöfe des Mondes in knappen Kapiteln; man bekommt reichhaltige Anregungen zum Weiterlesen und Wiederlesen. Kurz: Dieses „Lunarium“ ist sehr zu empfehlen.
Joachim Kalka: Der Mond. Berenberg Verlag, Berlin 2016. 104 Seiten, 20 €.

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