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Kultur: Die Lücke im Ich

Der Wille zum Spaß ist - inklusive seines Scheiterns - eine allgegenwärtige Tatsache.In Kneipen hat man dafür eine gängige Metapher gefunden: Irgendwann kommt immer jener Moment, der eine "Vergnügung" beendet, welche nicht stattgefunden hat - wenn nämlich der Barkeeper beginnt, die Stühle hochzustellen.

Der Wille zum Spaß ist - inklusive seines Scheiterns - eine allgegenwärtige Tatsache.In Kneipen hat man dafür eine gängige Metapher gefunden: Irgendwann kommt immer jener Moment, der eine "Vergnügung" beendet, welche nicht stattgefunden hat - wenn nämlich der Barkeeper beginnt, die Stühle hochzustellen.Was bleibt, sind die, die beschlossen haben, den Aufbruch zu verpassen.Dann ja immer ganz tiefgründig, weil die Trunkenheit wenigstens eine Art Selbsttranszendenz bewirkt, die man vielleicht als Anflug einer Rückkehr zum Freudschen "Es" bezeichnen könnte.

Diesen Moment nun beschreibt "Pleasure", die jüngste Performance der 1984 in Sheffield gegründeten und mittlerweile international renommierten Gruppe "Forced Entertainment", die jetzt im Rahmen der Berliner Festwochen im Podewil gastiert: Eine Art Nachtklub-Entertainer ruft auf, die Stimmung zu verändern und erbittet eine Pistole.Allerdings erschießt der Entertainer nicht sich, sondern irgendwann eine Frau.Eine andere sitzt im Brautkleid am Tisch und trinkt.Auch gibt es einen Mann mit Pferdekopf.Der trinkt ebenfalls.Später zieht er sich aus.Weitere Performerinnen tanzen ebenso erbärmlich wie die Röckchen, die sie tragen; und alles ist sehr trist und geschieht in einer Art Trance.

Wie schon in ihren früheren Performances geht es Regisseur und Autor Tim Etchells um die Recherche nach dem Original hinter der Kopie im vielstrapazierten Medienzeitalter, um die Sprache als eine immer nur geborgte Instanz und also um die grundlegende Lücke im Ich.Da die leitmotivischen Fragen, was und wie das Leben überhaupt und warum es "rubbish" sei, dabei dem bewährten postmodernen Wortmüll verpflichtet sind und ihn gleichzeitig unterlaufen wollen, werden sie in einer Folge mehr oder weniger nachvollziehbarer Assoziationen verhandelt.Sprich: Die englischen Betrachtungen pendeln sich ein zwischen Geschichten, deren Pointe in ihrer Pointenlosigkeit besteht, und brutal psychologisierenden Interviews: In einer taktischen Mischung aus Therapiesitzung und TV-Quiz wird eine Frau nach dem Schlimmsten befragt, was ihr auf Erden passiert sei.Sie gesteht, bei einer Party die Kontrolle über ihre Blase verloren zu haben.Beim schönsten Erlebnis erinnert sie sich technischer Details eines Autos, in dem sie Sex hatte.

Diese Aufführung will mittels intendierter Banalität eine tiefe Dimension im Kopf des Zuschauers entstehen lassen."Pleasure" hat zweifellos schöne und ehrliche Momente.Aber das anfangs beschworene Schweigen - "ein Schweigen wie beim Telefonieren mit einem Menschen, den man liebt" - bleibt ein uneingelöstes Versprechen.

Noch heute und morgen um 20 Uhr.

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