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Kultur: Die Lust am Experiment

Zum Tod des passionierten Berliner Medienkünstlers Mike Steiner.

„Das Filmen im Museum ist verboten!“, tönt es aus dem Off. Mit bemühter Autorität herrscht ein Museumswärter der Neuen Nationalgalerie die jungen Leute an, ihre Kamera auszuschalten. Mike Steiner hat das glücklicherweise ignoriert. Denn was der Videokünstler filmisch dokumentierte, war als Aktion zwar angekündigt, jedoch weit illegaler, als der Wärter ahnen konnte: Im Dezember 1976 entwendete der Künstler Ulay Carl Spitzwegs „Der arme Poet“ aus dem Museum, um das Bild für ein paar Stunden im Kreuzberger Wohnzimmer einer türkischen Familie aufzuhängen.

Die „dadaistische Irritation“ präsentiert der Hamburger Bahnhof derzeit in der Ausstellung „Live to Tape“ (noch bis 12. Januar): eine Auswahl der über 300 Künstlerfilme umfassenden Videosammlung, die Steiner der Nationalgalerie 1999 als Schenkung vermachte. Denn der Künstler stand nicht nur hinter der Kamera, sondern protegierte als einer der Ersten in der Bundesrepublik das junge, flüchtige Medium Video, als Künstler wie als Galerist und Sammler, Produzent und Theoretiker.

Der 1941 geborene Berliner hatte ursprünglich Malerei studiert. Ein Stipendium in New York führte Mitte der sechziger Jahre zum ersten Bruch. Die Malerei, zumal die abstrakt-expressive, war dort verpönt; begierig griff Steiner die Impulse von Minimal- und Happeningkunst oder auch dem Living Theatre auf.

Mit konstruktiven und minimalistischen Objekten kehrte er 1967 zurück, experimentierte mit Film und Fotografie, Video und Collagen. Der West-Berliner Entwicklung – der, so Steiner, „Realismusschwemme mit ihrer Überbewertung in der elitär etablierten Museumsszene“ –, war er als Künstler ebenso voraus wie als Betreiber des 1970 eröffneten legendären Künstlerhotels und später der Studiogalerie unweit des Kurfürstendamms. 1976 ins Leben gerufen, wurde sie zum Treffpunkt der internationalen Avantgarde; der Ausstellungsindex ist ein Who is Who der Video- und Performancekunst: von Marina Abramovic und Laurie Anderson bis Valie Export, von Allan Kaprow und Jochen Gerz bis Ben Vautier.

„Diskontinuität als Prinzip“ lautete Steiners Motto. Entsprechend ist sein eigenes Werk nicht auf einen Nenner zu bringen. Neben Ready-Mades und Copy-Art entstehen in den achtziger Jahren ein Film über Tangerine Dream und ein Kunst-Fernsehkanal. Mitte der Neunziger kehrt Steiner zur Malerei zurück, findet zu einem Sampling, in dem die Seh- und Denkerfahrungen verschiedenster Medien sprießen.

Nach einem Schlaganfall war es in den letzten Jahren ruhiger geworden um den sympathischen Grantler mit dem markanten Schnauzbart. Wie jetzt bekannt wurde, ist Mike Steiner am 3. Januar im Alter von 71 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Michaela Nolte

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