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Volksbühne: Die Markisen von der Pappelallee

Kartoffelsalat mit extra schlaffen Würstchen: Frank Castorf inszeniert eine lust,- und ideenlose „Die Marquise von O.“ in der Berliner Volksbühne. Immerhin: Es spielen viele Tiere mit.

Zur Feier des Tages serviert die Marquise von O... in der Berliner Volksbühne Kartoffelsalat. Soeben ist ihr Retter, der russische Graf F., auf einem echten Pferd in der Wohnstube der Marquisen-Familie eingeritten. Und auch wenn Herr F. (Marc Hosemann) jetzt in einer ausgebeulten Feinrippunterhose am Abendbrottisch Platz nimmt, bleibt er für die sittsame Julietta (Kathrin Angerer) doch der Held, der sie vor der Vergewaltigung durch russische Soldaten gerettet hat. Kompliziert wird die Sache erst, als die junge Witwe „von vortrefflichem Ruf“ urplötzlich Schwangerschaftssymptome aufweist, ohne sich an irgendwelche Beischlafaktivitäten erinnern zu können.

Eigentlich könnte Volksbühnenchef Frank Castorf in seiner Kleist-Premiere „Die Marquise von O...“ befreit aufspielen lassen. Seinen Vertrag hat er bis 2016 verlängert, drei Produktionen vom RosaLuxemburg-Platz sind zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Und angesichts der vielversprechenden Besetzung – zu altbewährten Volksbühnenkräften à la Angerer, Hendrik Arnst, Jeanette Spassova oder Frank Büttner gesellen sich die Ausnahmeakteure Ilse Ritter und Sylvester Groth – konnte theoretisch gar nichts schiefgehen.

Umso enttäuschender, dass sich der Abend trotzdem mau anlässt: Lange befürchtet man, das Selbstzitat mit dem Kartoffelsalat – serviert natürlich zu extra schlaffen Würstchen – sei das Einzige, was Castorf zur unwissentlich geschwängerten Marquise einfällt. Selbst Steilvorlagen wie der Markisen-Kalauer – „Jalousetten“ lägen noch en masse in der Pappelallee, wird auf den Rollo-Laden von Castorfs Vater angespielt – kommen erstens ziemlich spät und zweitens ungewohnt müde. Die Erklärung für die allgemeine Erschlaffung liefert Sylvester Groth, der seine Rolle als Marquisen-Vater im zweiten Teil mit einer Art Castorf-Alter-Ego überblendet: Noch bis 2016 sei das hier sein Zuhause, mault er in Bert Neumanns schönes Biedermeier-Mobiliar hinein. Und alles sei doch „so sinnlos geworden“.

Mit anderen Worten: Nicht einmal die Selbstreferenzialität ist hier mehr das, was sie mal war. Die Privatismen, die in der Volksbühne seit jeher als gewitzte Nebenspur mitlaufen, drängen sich zunehmend plump in den Vordergrund – mit überraschend abgehangenen Pointen.

Immerhin kristallisiert sich langsam auch ein textimmanenter Aspekt heraus, der Castorf an Kleists Geschichte um eine Vergewaltigung mit folgender sozialer Ächtung und Vertuschung interessiert: die durchschnittliche Kleinfamilie und ihr Verdrängungspotenzial. Ein Thema, auf das der Regisseur kürzlich in München bereits Horváths „Kasimir und Karoline“ zugespitzt hatte. Doch selbst die schauerlichen (Kleist-)Anekdoten, mit denen die Familienmitglieder hier einander auf die Nerven fallen, bleiben harmlos. Wenn man ab und zu tatsächlich schmunzeln muss über die Mutter (Ilse Ritter), die ihrem Sohn (Hendrik Arnst) ein Wiener Würstchen zuschiebt oder die Tochter, die mit ihrem Vater auf der Toilette verschwindet, liegt das einzig an den Schauspielern.

Ritter und Groth lassen sich einerseits mit Lust auf die Methode Castorf ein, behalten aber ihre Autonomie, ihre eigenen künstlerischen Prägungen. In Kombination mit der Castorf-Crew, in der Jeanette Spassova als martialische Hebamme und Joachim Tomaschewsky als souveräner Arzt tolle Kurzauftritte haben, erweist sich das als interessanter Weg: So könnte das am Rosa-Luxemburg- Platz weitergehen. Schade nur, dass innerhalb des weitgehend lust- und ideenarm wirkenden Konzepts davon so wenig aufblitzt. Parts wie die Voodooszene, wo Vater und Tochter – Groth und Angerer – Kleists implementierte „Verlobung in St. Domingo“ in eine mehrbödige, böse, hochnotkomische Missbrauchsgeschichte wenden, bleiben die Ausnahme.

Und so findet das wirklich Interessante zusehends außerhalb der Bühne statt. Denn so viel dieser Castorfschen „Marquise“ ansonsten auch fehlen mag, in einer Hinsicht leidet sie keinen Mangel: Es dürfte sich um die haustierreichste Premiere der Saison handeln. Neben dem eingangs erwähnten Pferd brillieren auch ein Hund und ein Huhn. Letzteres unternimmt etwa zur Halbzeit des dreistündigen Abends einen Ausflug in die erste Parkettreihe, wobei es sich am wohlsten auf dem Knie des Kulturstaatssekretärs André Schmitz zu fühlen scheint. Als gegen Ende aber selbst das Huhn seine Bestrebungen einstellt, in den Zuschauerraum zu gelangen, ist die Enttäuschung perfekt.

Wieder am 16. und 24. März.

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