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Kultur: Die Mauern tragen keine Schuld

Vor 60 Jahren wurde in München von Adolf Hitler das "Haus der Deutschen Kunst" eröffnet, eine Kultstätte des NS-Kulturbegriffs - Heute beherbergt das Haus eine Kunst, die diesen Namen verdientVON ROLF LINKENHEILDrei Schläge auf den Grundstein sah das Protokoll vor.Doch bereits der erste war von solcher Gewalt, daß der kunstvoll geschnitzte Stiel des Hammers entzweisprang.

Vor 60 Jahren wurde in München von Adolf Hitler das "Haus der Deutschen Kunst" eröffnet, eine Kultstätte des NS-Kulturbegriffs - Heute beherbergt das Haus eine Kunst, die diesen Namen verdientVON ROLF LINKENHEILDrei Schläge auf den Grundstein sah das Protokoll vor.Doch bereits der erste war von solcher Gewalt, daß der kunstvoll geschnitzte Stiel des Hammers entzweisprang.Mit einem Tusch überspielte die Kapelle den Schreck, der dem "Führer" in die Glieder fuhr.Dann stimmte sie das Deutschlandlied an.Die Volksmenge jubelte.Die Szene spielte sich am 15.Oktober 1933 am Rande des Englischen Gartens in München ab.Adolf Hitler legte den Grundstein für das "Haus der deutschen Kunst". Der symbolische Akt sollte zugleich die "Erneuerung des deutschen Kunstlebens" nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten einleiten und der mißtrauisch auf Deutschland blickenden Welt eine friedliebene Kulturnation vor Augen führen.Der Bruch aber bedeutete in den Augen mancher Zuschauer ein böses Omen.Den Hammer hatte der Architekt Paul Ludwig Troost eigens für Hitler entworfen, sollte doch das "Haus der deutschen Kunst" keineswegs der einzige Monumentalbau bleiben, zu dessen Grundsteinlegung der Führer ein angemessenes Werkzeug benötigte.Darüber, daß er es schon beim ersten Schlag zertrümmerte, durften die deutschen Zeitungen nicht berichten.Der "New York Times" hingegen war am 16.Oktober 1933 der Vorgang eine Schlagzeile wert: "Dedicatory hammer brocken by Herr Hitler". Knappe vier Jahre später, am 18.Juli 1937, eröffnete der martialische Hammerschwinger den neuen Tempel für die "wahre und ewige deutsche Kunst" in der "Hauptstadt der deutschen Kunst" mit der ersten "Großen Deutschen Kunstausstellung" am "Tag der Deutschen Kunst".Wie sich den braunen Herrschern über Deutschland "Zweitausend Jahre deutsche Kultur" der arischen Herrenrasse darstellten, konnten die "Volksgenossen" in München im Rahmen der drei Tage währenden Feierlichkeiten bestaunen.Durch Münchens Straßen zogen heroisch kostümierte deutsche Frauen und Jungfrauen, deutsche Männer und Jünglinge mit Roß und Wagen, die die großen Epochen der deutschen Geschichte von der Zeit der Germanen bis zu der von den Nazis verordneten Neuen Zeit verkörpern sollten, eingerahmt von Marschblöcken der Wehrmacht, der SA und der SS.3000 Meter lang war der Zug, dessen Pferde einigen kritischen Zeitgenossen weitaus besser gefielen als die martialischen Krieger.In seiner Eröffnungsrede wetterte Hitler gegen das "Kunstschmierantentum" und "geschäftstüchtige jüdische Kunsthändler", die "die größten Schmieragen" als moderne Kunst anböten."Wir werden von jetzt an einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung", versprach er der begeistert die Arme zum "deutschen Gruß" hochreckenden Masse der Volksgenossen.Die uniformierten Formationen und Standartenträger, die im Säulengang der neuen nationalsozialistischen Kultstätte angetreten waren, schienen mit dem Tempel zu verschmelzen. Die "primitiven internationalen Kritzeleien" der "prähistorischen Kultursteinzeitler und Kunststotterer", vor deren dekadenter Wirkung es die Deutschen zu bewahren galt, sollten sich die Münchner in einer Kontrastausstellung in dem in unmittelbarer Nähe des Hauses der deutschen Kunst gelegenen Galeriegebäude am Hofgarten ansehen.In entstellender Aufmachung, kommentiert mit wandgroßen Schmähungen, wurden dort 600 Werke der "entarteten Kunst" an den Pranger gestellt.Kandinsky, Klee, Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff sind nur einige derer, die der Verdammung anheimfielen.Doch waren es allein in München mehr als zwei Millionen Besucher, die von den "Entarteten" oder vom inszenierten braunen Terror gegen sie angelockt wurden.In den riesigen Hallen der ewigen deutschen Kunst sahen insgesamt 554 799 Besucher hingegen die Frauenbildnisse des vom Führer und seinen kunstbeflissenen Stiefelleêkern hochgeschätzten Malers Adolf Ziegler, dem Spötter den Titel "Meister des deutschen Schamhaares" verliehen.Sie sahen unter anderem auch Plastiken von Arno Breker, der den Wandel der Zeiten bis in die jüngste Vergangenheit hinein als bildender Künstler mühelos verinnerlichte, oder die gewaltigen Männerleiber eines Josef Thorak, die zu den Lieblingswerken des Amateur-Malers Adolf Hitler zählten. Was von der Kunst der Nazis übrigblieb, lagert heute streng verschlossen in den vom Freistaat Bayern gehüteten Depots.Aber das Haus an der Prinzregentenstraße steht nach wie vor.Es hat nur seine Ehrenbezeichnung "deutsch" eingebüßt.In seinen Räumen waren nach dem Krieg zahlreiche Ausstellungen von hoher Qualität zu sehen.Seit 1993 wird es von Christoph Vitali geleitet, der München eine Reihe hochkarätiger Ausstellungen beschert hat.Vitali, gebürtiger Schweizer und musisch gebildeter Jurist, scheute sich nicht, das Haus selbst schön zu finden.Bei seinem Amtsantritt pries er dessen architektonische Qualität, die Schönheit und Ausgewogenheit der Proprotionen und der Aufeinanderfolge der Räume."Die Mauern tragen keine Schuld", verkündete er und provozierte prompt einen vielstimmigen Aufschrei.Doch ausgerechnet Roy Lichtenstein war es, der denselben Gedanken aus Anlaß seiner großen Retrospektive 1994 mit nahezu denselben Worten wiederholte. Zum 60.Jahrestag seiner Eröffnung stellt sich das Haus der Kunst seiner Vergangenheit.Vitali hat die in den historisch unveränderten Fluren angebrachte Bild- und Textdokumentation ergänzen lassen durch einen Bild- und Textband von Sabine Brantl.Von dem Architekten Paul Ludwig Troost, der zunächst nur durch seine Ausstattungen der Luxusdampfer des Norddeutschen Lloyd aufgefallen war, hatte Hitler 1926 in den Räumen der Vereinigten Werkstätten in München einen "Diplomatenschreibtisch" gesehen, den er unbedingt haben wollte.Vier Jahre später kam es im Haus des Verlegers Hugo Bruckmann zu einer persönlichen Begegnung.Sie führte zu dem Auftrag an Troost, das von der NSDAP erworbene klassizistische Palais Barlow am Königsplatz für die Reichsleitung der NSDSP zum "Braunen Haus" umzubauen.Weitere nationalsozialistische Projekte sollten folgen.Hitler bestimmte den Platz für das Haus der deutschen Kunst persönlich.Spitzenfunktionäre der deutschen Wirtschaft sorgten dafür, daß zu den 500 000 Reichsmark, die der bayerische Ministerrat im Sommer 1933 bereitstellte, drei der benötigten fünf Millionen RM zusammenkamen und die Finanzierung gesichert war."Der Ministerrat regte an, in dem zu errichtenden Bauwerk einen geeigneten Platz für ein Standbild des Führers - das erste in Deutschland - auszuersehen", heißt es im Protokoll der Sitzung. In seinem Entwurf lehnte sich Troost an Schinkels klassizistisches Museum am Lustgarten in Berlin an.Bei der Vergröberung der ionischen Kolonnade zu einer mächtig wirkenden Säulenreihe soll womöglich Hitler selbst Hand angelegt haben.Troost erlebte die Fertigstellung seiner verschiedenen Bauwerke nicht mehr.Er starb am 21.Januar 1934 mit knapp 56 Jahren.Albert Speer hat geäußert, Hitler habe zunächst erwogen, das Architekturbüro eigenhändig weiterzuführen.Die Witwe Gerdy Troost und der langjährige Mitarbeiter Leonhard Gall sorgten dann aber für die Vollendung der Entwürfe des "Ersten Baumeisters des Führers". Die "verführerische Ästhetik" (Vitali) der Naziarchitektur beschäftigt auch den Künstler und Lehrer an der Münchner Kunsthochschule, Ben Willikens.In seiner in Grautönen gehaltenen Bilderserie mit bekannten Bauten des Dritten Reiches als Motiv, die in einem Raum des Hauses der Kunst zum ersten Mal zu sehen ist, versucht er, "kollektive Vorurteile" beiseite zu lassen und die "Klarheit der Ästhetik ohne Ästhetisierung oder braune Nostalgie" nachzuvollziehen.Willikens: "Warum darf man nicht sagen, daß dieses Haus ein großartiges Gebäude für Kunst ist"? Für leidenschaftliche Auseinandersetzungen bietet das Haus am Eingang zum Englischen Garten in München auch 60 Jahre nach seiner Eröffnung noch reichlich Anlaß.

ROLF LINKENHEIL

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