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Kultur: Die Miles-Davis-Falle

Er wohnt in Beverly Hills, fährt einen Ferrari und müsste sich eigentlich keine Sorgen machen. Doch irgendetwas treibt den derzeit wohl schillerndsten und unberechenbarsten Jazzmusiker um.

Er wohnt in Beverly Hills, fährt einen Ferrari und müsste sich eigentlich keine Sorgen machen. Doch irgendetwas treibt den derzeit wohl schillerndsten und unberechenbarsten Jazzmusiker um. Was sonst verleitet Herbie Hancock, das Mikrofon zu ergreifen und, während Teri Lyne Carrington Pressschläge auf ihrem Schlagzeug niedergehen lässt, in die Columbiahalle hinein Sätze zu sagen wie: "Only once a millennium comes a son as prophetic as this one." Man solle den Trommeln lauschen, flüstert er, um die Ankunft dieses Propheten-Sohns nicht zu verpassen. Spiritueller Technizismus? Monomanie eines Dandys, dem die gleißende Sonne Kaliforniens das Hirn perforiert?

Für einen Erlöser hält Hancock sich nicht. Dafür ist der ehemalige Miles-Davis-Pianist zu pragmatisch. Seine Vision einer durch technologische Entwicklungssprünge versöhnten Welt, die er auf seiner neuesten Platte "Future2Future" formuliert, ist denn auch nicht frei von peinlichen Zügen. Hancocks Musik hört sich an wie etwas, das er vor 25 Jahren selbst viel besser konnte: Damals hatte er sich dem Funk zugewandt, dessen psychedelischen Sound er für ausgedehnte Improvisationen nutzte. "Headhunters" und "Secrets" waren Meilensteine, lange hatte Jazz nicht mehr so hip, so groovy geklungen - und würde es auf absehbare Zeit auch nicht mehr tun.

Umso merkwürdiger ist, dass Hancock unter dem Einfluss des Produzenten Bill Laswell nun in jene musikalischen Gefilde zurückirrt, für die Miles Davis "Bitches Brew"-Platte steht - elektronischer Voodoo-Zauber. Doch über flirrende Ambient-Klänge gelangt die sechsköpfige Band nicht hinaus. Sie setzt launische Akzente, folgt den vagen Fixpunkten einer schemenhaften Dramaturgie und rüstet ihre schleppende Coolness durch gleichförmige Soundschleifen auf. Wenn Wallace Roney eines seiner spärlichen Soli bläst, meint man einer Art Gedenkveranstaltung beizuwohnen. Schon physiognomisch ähnelt der exzellente Trompeter seinem Vorbild Miles Davis - dieselbe gekrümmte Haltung, dieselben harten, wie Stoßgebete herausgeschlagenen Töne. Hancock sitzt derweil hinter einem gigantischen Flügel, der wie eine blecherne Badewanne klingt. Manchmal wendet er sich der Synthesizer-Konsole zu, aber, es ist merkwürdig, er weiß nicht wirklich mit ihr umzugehen: zu sehr ist er percussiver Pianist geblieben, der es liebt, seine fordernden Tongirlanden der Rhythmusgruppe zuzuwerfen. Könnte es sein, dass Hancock in die Miles-Davis-Falle getappt ist, weil auch er wie ein Popstar gewürdigt werden will?

Hancocks Affinität zur Popmusik ist seit jeher tückisch. Mal greift er deren Hits auf, um sie wie Jazz-Standards zu behandeln. Dann wieder glaubt er, aktuelle Trends überbieten zu können, indem er sich einen DJ in die Band holt. Doch der scratcht sich hilflos durch Trip-Hop-Gebilde, während sich auf einer Leinwand visuelle Acid-Figuren ergießen und ein unablässiges Kreiseln, Stürzen und Rasen des elektronischen Kosmos den Stilmix ins Barocke wendet. Am Ende des zweistündigen Konzerts weckt Hancock die Menge dann mit den erratischen Blockakkorden seines 80er-Jahre-Hits "Rockit". Doch auch diese schmissige Tanznummer gelingt nur halb. Die Zeit ist über ihren frechen, rauen Charme hinweggegangen. Vermutlich dauert es eine Weile, bis Hancocks Faszination für das technisch Machbare abgekühlt ist.

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