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Kultur: Die Momente der Hingabe wollen erstritten sein

"Die junge und dynamische Tanzkompanie" nennt sich das Ensemble.Doch die Tänzer des NDT II, der Juniortruppe des Nederlands Dans Theater, sind mehr als bloß jung und ungestüm.

"Die junge und dynamische Tanzkompanie" nennt sich das Ensemble.Doch die Tänzer des NDT II, der Juniortruppe des Nederlands Dans Theater, sind mehr als bloß jung und ungestüm.Sie besitzen hochgradige Präzision und technische Virtuosität, die sich ungebremster Tanzlust verschwistert.Mühelos bewährt sich die Mischung aus Leichtigkeit und Akkuratesse in unterschiedlichsten Stilen.Das belegt das fünfteilige Programm, mit dem sich das energiegeladene Ensemble in der Staatsoper vorstellte."Un Ballo" von Jiri Kylián ist das erste Stück, das der NDT-Chef 1991 für seinen Nachwuchs choreographierte.Moderat nennt er es einen "Tanz auf Musik, weiter nichts".Doch ist der schlicht annoncierte "Ballo" zu Musik von Ravel weit mehr als eine bloße Fingerübung des Meisters, nämlich ein veritables Ballett, in technischem wie inhaltlichem Anspruch seinen großen Abendfüllern durchaus ebenbürtig.

Ländliche Abendstimmung scheint über der Szene zu liegen.Aus dem Schnürboden hängen gestaffelte Reihen voller Kerzen.Darunter treffen sich Paare: zärtlich, einander beschützend, flirtend, im Scherz streitend.Kylián entfaltet mit Raffinesse seinen Einfallsreichtum, sorgt in der Führung seiner Linien für Überraschungen.Unverhofft drehen die Bewegungen zum Boden nieder, schnellen wieder hoch.Klassisches Schrittmaterial und zeitgenössischer Bodenkontakt paaren sich mit Leichtigkeit zu einer Liebeserklärung an Tanz und Tänzer.Die absolvieren diesen zärtlichen Ball mit einer Geschmeidigkeit, die erinnern läßt, was ein Pas de deux sein kann: subtile Werbung zwischen ebenbürtigen Partnern.

Ganz anders Ohad Naharins Duo "Passomezzo" für Jayne Cooper und Amos Ben-Tal zu irischer Volksmusik.Wo Kylián einer romantischen Harmonie nachspürt, setzt er auf kalkulierte Brüche.Mann und Frau sind zwei Youngsters, die spielerisch Nähe erproben, nicht ohne Rangeleien und Kräftemessen.Die Momente der Hingabe, wenn er etwa seinen Kopf in ihren Schoß legt, wollen erstritten sein.Dazwischen stellt sich der eine für die andere schon mal tot - aus Wut, aus Trotz.Auch Naharin sucht nach unverhofften Wendungen, läßt seine dynamischen Bewegungsanläufe unversehens in ein simples Marschieren übergehen.Der "Passomezzo" bleibt unentschieden, jedoch nicht ohne zum furiosen Finale auszuholen - voller Witz und Ironie.

"Mellantid" (etwa "Zwischenzeit") für sechs Tänzer von Johan Inger kann sich dagegen nicht entscheiden, was es sein will: "Westside Story"-Verschnitt, Disco-Einlage oder Melodram über Pubertätsnöte.Ein wenig von allem mixt der schwedische Choreograph zu Musiken von Gavin Bryars bis Henryk Gorecki; es rettet ihn nur die technische Brillianz seiner jungen Tänzer über die Dauer von 25 (!) Minuten.

Kurz, präzise formuliert sich Hans van Manen in "Solo".Der Titel allerdings führt in die Irre, handelt es sich doch um insgesamt drei schnell wechselnde und äußerst anspruchsvolle Männersoli für Mario Zambrano, Christophe Dozzi und Brynjar Bandlinien.Zu rasant schnellen Violinmusiken von Bach absolvieren die Drei einen regelrechten Pirouettenwettbewerb mit unterschiedlichen Arm- und Handmotiven - neoklassisch pur, wie es van Manens Art ist.

Hätte es denn überhaupt noch eines Anheizers für das enthusiasmierte Publikum bedurft, so wäre wohl kaum ein Stück besser geeignet als Paul Lightfoots "Skewwhiff".Schon für das Seniorensemble NDT III hatte sich Lightfoot genüßlich als Leichenfledderer über Beethoven hergemacht.Diesmal ist sein Opfer Rossinis Ouvertüre zur "Diebischen Elster".Lustvoll verwurstet er den Operngassenhauer zum verquasten Tanz der Hominiden.Die wiegen und wippen respektlos die Hüften, rekeln sich in Affenposen und verknäueln sich zu vertrackten Positionen.Nichts ist dem Mann heilig - und doch timed er seine groteske Satire in jedem Moment genau zur Musik - ein weiteres, ein letztes Bravourstück für die vier Tänzer Chisato Ohno, Shintaro O-ue, Brynjar Bandlien und Ramon Reis.Ein Abend auf dem vielzitierten Hauptstadtniveau, den man nicht missen sollte.Ein Abend aber auch, der die Berliner Rotstift-Regenten nachdenklich stimmen sollte.

Heute noch zu sehen: Deutsche Staatsoper Unter den Linden, 20 Uhr.

NORBERT SERVOS

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