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Kultur: Die Muse des Monsters

Abrechnung im Kino: „Factory Girl“ über das kurze Leben der Warhol-Gefährtin Edie Sedgwick

Ausgerechnet diesen Film zum 80. Geburtstag von Andy Warhol ins Kino zu bringen, ist alles andere als ein Geschenk. In „Factory Girl“ kommt der Kunst-Guru so schlecht weg wie sonst keiner. Beziehungsunfähig, grausam, voyeuristisch, nutzt dieser bleiche Warhol-Klon (Guy Pearce) die Abhängigkeit seiner Gefährtin Edie Sedgwick aus, um sie selber zu Filmzwecken bis fast in die Vergewaltigung zu treiben.

Warhol ist nicht der Einzige, der sich durch George Hickenloopers „Factory Girl“ verleumdet fühlen könnte. Bob Dylan ist schon vor Kinostart gegen die Produzenten vor Gericht gezogen, weil er fand, ihm werde in dem Werk eine Mitschuld an Edies Verfall und Drogentod gegeben. Im Film ist die Figur daher zu einem namenlosen Musiker (Hayden Christensen) mutiert, der mit Lockenmähne, Mundharmonika und charakteristischem Nuscheln trotzdem unübersehbar Dylan zitiert.

So weit, so übertrieben: Die leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen Dylan und Sedgwick, die der Film in weichgezeichneten Bettszenen genüsslich ausmalt, mag es gegeben haben oder nicht. Dass die Bekanntschaft mit Dylan der Auslöser dafür war, dass Edie die Factory verließ, berichten mehrere Beobachter. Dylan habe ihn für Edies Drogenkonsum verantwortlich gemacht, erzählt auch Andy Warhol in seinen Memoiren. Doch dass Bob Dylan, der zu dieser Zeit schon mit seiner künftigen Frau Sara Lownds zusammenlebte, aus Liebe bereit war, Edie aus den Fängen Warhols zu befreien, ist wohl Kino-Fantasie.

Armes, reiches Kind: Der Titel des ersten Films, den Warhol mit Sedgwick drehte, steht überdeutlich als Motto über der Filmbiografie, die nun mit zwei Jahren Verspätung pünktlich zum Warhol-Jubiläum in die deutschen Kinos kommt. Regisseur George Hickenlooper allerdings ist nicht viel mehr eingefallen, als in Rückblenden aus der Psychiatrie die Verfallsgeschichte eines Upper- Class-Girls im ach so gefährlichen New York der 60er zu erzählen. Man wird den Verdacht nicht los, dass er sich mehr für Andy Warhol als für die Person Edie Sedgwick interessiert. Ihr Lebensdrama reduziert er auf eine traumatische Kindheit und Drogenmissbrauch.

Dabei beginnt es verheißungsvoll: Die Kunststudentin Edie macht sich auf, die Großstadt zu erobern. „New York, das war für mich Jackson Pollock, Wodka trinkend und Farbe über eine Leinwand tropfend“. Wie alle Kunstinteressierten der Zeit landet sie schnell in Andy Warhols Factory. Ein Jahr lang ist sie sein Superstar und seine ständige Begleiterin, Hauptdarstellerin seiner Filme, CoverGirl der „Vogue“, dann folgt der Absturz: Drogen, Schulden, gescheiterter Entzug. 1971 stirbt Edie Sedgwick nach mehreren Klinikaufenthalten an einer Überdosis Barbituraten. Es sei fast etwas wie Liebe zwischen ihnen gewesen, wird ein heuchlerischer Andy Warhol zitiert.

Die Schauspielerin Sienna Miller spielt diese Edie als frühe Version von Lady Diana. Bildschön, exaltiert, mediengeil, mit einer bezaubernden Mischung aus Mut und Schüchternheit, und später, im Verfall, deutlichen Spuren von Vulgarität. Dass Edie Sedgwick mit ihren Riesen-Ohrgehängen, den Minikleidern und den kurzen Pelzmänteln, dem raffinierten Kurzhaarschnitt und den kajalumrandeten Rehaugen, aber auch mit ihrer füllenhaften Ausgelassenheit zur Stil-Ikone der 60er wurde – das spürt man noch in den sorgfältig rekonstruierten Kostümen des Films (Kostümdesign: John Dunn). Sie hätte die Kleider am liebsten behalten, wird Sienna Miller zitiert.

Selbst im glamourösen Factory-Umfeld ist Edie Sedgwick ein Sonderfall. Nicht umsonst hat sie – von Velvet Undergrounds „Femme Fatale“ bis zu Bob Dylans „Just like a Woman“ – gleich mehrere Songs inspiriert: Sie war die Verkörperung der Pop-Kultur, des Lifestyles der 60er. Doch welches Drama es für die intelligente und stark verunsicherte Frau bedeutet haben muss, nach kurzem Ruhm von Warhol fallengelassen zu werden und zu erkennen, dass alle Aufmerksamkeit nur der Warhol-Gefährtin galt – das wäre ein Thema für einen ganz anderen Film gewesen. Edie nur als Opfer, das ist zu wenig. Dafür ist das strahlende Bild, das die kurzen Warhol-Filme von ihr überliefern, immer noch zu lebendig.

Ab heute in 16 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center, Moviemento und den Hackeschen Höfen

Christina Tilmann

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