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Kultur: Die Musikalisierung der Politik

Heiner Goebbels’ erste Oper kommt nach Berlin

Schwarze Gestalten mit weißen Halskrausen versammeln sich stumm in der Mitte der Bühne. Wie eine übergroße Kerze trägt jede von ihnen eine Orgelpfeife vor sich her. Dann geschieht etwas Wunderbares: Die geheimnisvolle Versammlung bläst einen Choral mit ihren Pfeifen. Brüchig klingt das dem Zeitgenossen und gleichzeitig voller Sehnsucht danach, das Richtige zu glauben.

Es sind die Musiker des Frankfurter Ensemble Modern in Heiner Goebbels erster Oper „Landschaft mit entfernten Verwandten“, die auf der Bühne stehen. Mit Unterstützung des Deutschen Kammerchors, des Baritons Georg Nigl und des Schauspielers David Bennent kommt die dritte Zusammenarbeit von Goebbels und dem Ensemble nun auch nach Berlin – in Goebbels eigener Regie (wie bei „Schwarz auf Weiß“ und „Eislermaterial“).

Die Produktion, die im Oktober in Genf Premiere hatte, ist die Weiterentwicklung eines der aufregendsten Musiktheaterexperimente der letzten Jahre. Voller Leichtigkeit vollzieht das Stück einen Gang durch die Geschichte, Kulturen und Glaubensrichtungen der Menschheit. Ohne eine politische Aussage zu formulieren, reagiert Goebbels dabei auf die Ereignisse des letzten Jahres. Das Stück sei „vielleicht gar nicht zu denken ohne das, was im September passiert ist“ sagt Goebbels. Dabei meint er nicht nur den 11. 9. 2001 selbst, sondern auch „die Art, wie darauf öffentlich reagiert wurde.“

Das Projekt ist eine Koproduktion deutscher, französischer und schweizer Kulturinstitutionen und ein Auftragswerk der Europäischen Festivalvereinigung. Gleichzeitig arbeitet und produziert das von der Deutschen Bank unterstützte Ensemble Modern basisdemokratisch. „So arbeiten zu können, ist politisch: Es hat etwas Utopisches.“ Für Goebbels ist die „Produktionsform des Ensembles von seiner künstlerischen Qualität nicht zu trennen.“ Kein Opernorchester könnte Goebbels mit derartiger Leichtigkeit als Akteure, Sprecher, Tänzer und Sänger auf die Bühne schicken. Noch deutlicher als früher setzt er in „Landschaft“ auf den Reiz des Dilettantismus. Dadurch, dass die Musiker ständig Instrumente spielen, auf denen sie nicht ausgebildet sind, bekommen die zarten Szenen des Stücks eine unschuldige und gleichzeitig komische Wirkung.

Allein David Bennent fungiert im Stück als eine Art Zeigestock des Malers, der in seiner gemalten Landschaft die Wahrnehmung des Betrachters lenken kann. Die Texte, die er spricht, spannen den Boden von Leonardo da Vinci bis Michel Foucault: Ein Textkonglomerat, bei dem Poesie und Wissenschaft, Krieg und Kunst verschmelzen. Bennent spricht, rezitiert oder ruft auf deutsch, englisch und französisch. Dabei ist er immer einkomponierter Teil der Musik. „Sprache ist nie nur Mitteilung“, sagt Goebbels.

Doch Sprache zu musikalisieren, ist nur eine Eigenart des Komponisten. Vor allem der rhythmischen Spannung ist es zu verdanken, dass es nie esoterisch zugeht. Im Gegenteil: Das, was Goebbels vom Theatermusiker gelieben ist, scheint die immer konkrete Qualität seiner Musik zu sein. Dennoch sträubt sich Goebbels gegen szenische Perfektion: „Ich reagiere sehr allergisch, wenn irgendwie alles stimmt.“ In der letzten Szenen des Stücks stimmt eigentlich gar nichts mehr: In furchtbaren Countrykostümen dilettieren die Musiker des Ensemble Modern ein Western-Ballade. „That’s were the west begins...“ lautet der Text. Man kann dabei viel über amerikanische Sehnsüchte oder westlichen Imperialismus nachdenken. Man kann aber auch einfach Tränen der Rührung oder des Lachens kullern lassen.

„Landschaft mit entfernten Verwandten“, am 7. und 8. Februar im Haus der Berliner Festspiele, 20 Uhr. Karten: 254 89 100.

Joscha Schaback

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