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Kultur: "Die Nacht singt ihre Lieder": Ja, aha, jaja

Am liebsten, sagte Thomas Ostermeier vor einigen Monaten, würde er in dieser Spielzeit nur Stücke von Jon Fosse inszenieren; Stücke über implodierende Kleinfamilien und das mentale Elend einer verunsicherten Mittelschicht, Stücke, bei denen hinter dem banalen Alltagsunglück immer eine metaphysische Verlorenheit durchschimmert. Nach Ostermeiers Fosse-Inszenierung "Der Name" war jetzt ein ähnlich düsteres Werk aus der Dramen-Fabrik des Norwegers als Gastspiel an der Schaubühne zu sehen.

Am liebsten, sagte Thomas Ostermeier vor einigen Monaten, würde er in dieser Spielzeit nur Stücke von Jon Fosse inszenieren; Stücke über implodierende Kleinfamilien und das mentale Elend einer verunsicherten Mittelschicht, Stücke, bei denen hinter dem banalen Alltagsunglück immer eine metaphysische Verlorenheit durchschimmert. Nach Ostermeiers Fosse-Inszenierung "Der Name" war jetzt ein ähnlich düsteres Werk aus der Dramen-Fabrik des Norwegers als Gastspiel an der Schaubühne zu sehen. Falk Richter hat am Züricher Schauspielhaus die deutschsprachige Erstaufführung von "Die Nacht singt ihre Lieder" inszeniert: Wie meistens bei Fosse geht es um ein sprachlos aneinander leidendes Paar.

Diesmal gibt der Dramatiker, ein illegitimer Erbe Strindbergs und Ingmar Bergmanns, einen antriebsschwachen jungen Mann und seine heftig in ihren Gefühlen schwankende Lebensgefährtin zur Besichtigung frei. Während er (Sebastian Rudolph) mit verfetteten Haaren, gammligem Sweatshirt und formlosen Hosen seine Tage auf dem Sofa totschlägt, stakst sie (Judith Engel) energisch, aber ohne rechtes Ziel durch die Wohnung und durch ihr Leben. Hat er sich als depravierter Oblomow-Wiedergänger darauf eingerichtet, gemächlich zu verrotten, wird sie von kurz aufflackernden Energieschüben hin und her geworfen. Er macht seit Jahren nichts anderes, als zu lesen und zu schreiben, zu schreiben und zu lesen, aber noch nie wurde einer seiner Texte von einem Verlag angenommen. Seine Schriftstellerei ist eine Art endlos vor sich hinmurmelndes Selbstgespräch zu sein, ein Versacken im privaten Mikrokosmos, der sich autistisch gegen die Belästigungen der Außenwelt abschottet. Lässt er jedes Gespräch nach wenigen Halbsätzen im Schweigen verenden, sondert sie energisch und in mechanischer Geschwindigkeit Floskeln ab, lauter hilflos forcierte Sätze, in denen sie sich verheddert.

"Ich halt das nicht mehr aus. Ich schaff das nicht mehr. Wir können so nicht mehr weiterleben", rattert es zu Beginn des Stücks aus ihr heraus. Man hört diesen Sätzen an, dass die junge Frau sie schon sehr oft gesagt hat. Das, was sie nicht aushält, könnte noch lange so weiter gehen, während im Nebenzimmer der Säugling schläft oder schreit.

Die Katastrophe, die diesen Zustand doch noch explodieren lässt, wirkt fast ebenso banal und geheimnislos, wie die langgezogene Lethargie des Zusammenlebens. Die junge Frau hat einen Liebhaber (Kai Scheve). Mit ihm verlässt sie ihren Lebensgefährten, der sich still und höflich zurückzieht: "Ja, aha, jaja". Wie fremde Kleider, die nicht recht passen wollen, probiert sie Gesten und Sätze der Leidenschaft aus, Zitate aus einem anderen Leben: "Ich liebe dich. Ich bin in dich verliebt. Ich kann nicht ohne dich leben. Ja, so fühlt sich das an." Die Sätze wirken fremd, hilflos aufgesagte Wörter, die man irgendwo gehört hat und jetzt selbst erleben will. Während sie noch die neuen Posen der Liebe ausprobiert, unsicher und nervös ein neues Leben herbeireden will, hört man aus dem Nebenzimmer einen Schuss.

Die Versuchsanordnung, mit der Fosse sein Stück konstruiert, ist simpel. Seine Figuren bleiben eindimensionale Schablonen. Ihr Unglück ist schrecklich und schrecklich banal. In älteren Baureihen dieser Sorte bürgerlicher Kammerspiele durften die Figuren an so bedeutsamen Dingen wie bürgerlichen Lebenslügen, materieller Not, verklemmter Sexualmoral, ererbter Syphilis und depressions-induziertem Suff zugrunde gehen. Diese dramatisch ergiebigen Unglücksquellen sind, so Fosses Diagnose, im sozialdemokratischen Wohlfahrts-Skandinavien wegrationalisiert. Was bleibt, ist das Leiden an sich selbst und ein verzehrendes Sinn-Vakuum: Jugend ohne Gott. Aber gerade, weil die Stückvorlage so platt ist, muss man die Leistung der Schauspielerin bewundern. Wie Judith Engel die Verstörungen und hilflosen Sehnsüchte ihrer Figur auslotet, ist berührend und erschütternd. Trocken, unsentimental, ungeschützt erkundet sie das Unglück ihrer Figur.

Früher galt Falk Richter als Pop-Regisseur, der raffiniert und zynisch mit der medialen Verdopplung und Verzerrung von Wirklichkeit spielte, mit Pop-Lifestyle in "Gott ist ein DJ", mit den Fernsehbildern des Kosovo-Krieges in seiner Schaubühnen-Inszenierung "Peace". Jetzt verzichtet Richter auf solche sarkastischen Spiele einer gebrochenen, entwirklichten Realität. Jetzt ist alles von brutaler Eindeutigkeit und auswegloser Wirklichkeit. Der Pop-Intellektuelle interessiert sich für so etwas Altmodisches wie Menschen und menschliche Gefühlslabyrinthe.

Derzeit inszeniert Falk Richter an der Schaubühne Caryl Churchills Stück "Far Away". Premiere ist im April.

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