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Kultur: Die nackte Haut

Berlins Maxim-Gorki-Theater wagt sich an "Lulu" - ein Versuch, aus Wedekinds "Monstretragödie" ein zeitgemäßes Stück zu machenVON GÜNTHER GRACKLulu, schon der Name ist die pure Lockung, die lautmalende Verführung.Lulu, so heißt man/frau nicht umsonst, Lulu bringt das Wesen dieses Geschöpfs auf den Punkt.

Berlins Maxim-Gorki-Theater wagt sich an "Lulu" - ein Versuch, aus Wedekinds "Monstretragödie" ein zeitgemäßes Stück zu machenVON GÜNTHER GRACKLulu, schon der Name ist die pure Lockung, die lautmalende Verführung.Lulu, so heißt man/frau nicht umsonst, Lulu bringt das Wesen dieses Geschöpfs auf den Punkt.Die Männer, die an Lulu zerbrechen werden, suchen ihr Heil, indem sie ihr andere Namen geben: Eva nennt sie der Maler Schwarz, der sich ihretwegen den Hals abschneiden wird.Mignon nennt sie der Chefredakteur Dr.Schön, der, an ihr verzweifelnd, sie zum Selbstmord drängen will, worauf sie ihn über den Haufen schießt.Lockende, sprechende, bedeutungsschwangere Namen auch dies - an Lulu aber reichen sie nicht heran.Der Bettler Schigolch, der Lulu aus der Gosse aufgelesen und der erste Liebhaber der Kindfrau geworden ist, hat ihr diesen Namen gegeben, und für den Dompteur, der - "Hereinspaziert!" - das Publikum ins Zirkuszelt ruft, ist sie die menschgewordene Schlange: "Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften, zu locken, zu verführen, zu vergiften - zu morden, ohne daß es einer spürt." Frank Wedekinds "Lulu", gezeugt 1892, war eine schwere Geburt: zehn Jahre brauchte es, bis sie sich aus den Stücken "Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora" entwickelt hat, ausgewachsen zu einem Geschöpf, das prompt vors Gericht gezerrt wurde, angeklagt wegen Gefährdung der Sittlichkeit.Was Wedekind da geschrieben hat, ist einmal eine Provokation gewesen: eine Männerphantasie, gegen die sich wehren mußte, wer ihr nicht erliegen wollte. Ein Jahrhundert später, nach der sexuellen Emanzipation, hat der Stoff sein Faszinosum verloren.Kann in einer Zeit, in der Porno- zu Medienstars werden können, eine Lulu noch etwas Besonderes sein? Jede Aufführung der "Monstretragödie" heute muß sich die Frage stellen, wie sie das Geheimnis der Lulu bewahren kann, ob das Stück das Zeug zum Klassiker hat, den man ohne Rücksicht auf Verluste in eine andere Epoche zu versetzen, in ein anderes Kostüm zu stecken vermag.Eine Frage, die seit Peter Zadeks Hamburger "Lulu"-Inszenierung von 1988 eigentlich schon beantwortet ist, und zwar negativ.Die Aufführung verpflanzte das Stück ins Berlin der Nachkriegszeit mit Ausblick aus dem Maleratelier auf ein ramponiertes Brandenburger Tor: Lulu posierte da als Badeanzug-Beauty wie ein Pin-up-Girl; helles Arbeitslicht fiel bis in den Zuschauerraum und verwehrte dem Publikum, im Dunkel der Anonymität eine Gemeinschaft von Voyeuren zu bilden.Zadeks Inszenierung, wie auch immer brillant im einzelnen, weckte doch letztlich den Wunsch, dem Stück einmal in seinem originalen wilhelminischen Gewande zu begegnen - als einem dramatischen Pendant zu den Bildnissen des Franz von Stuck, "Die Sünde", "Die Sinnlichkeit", auch sie aus dem Fin de siècle herausleuchtend in düsterem Bann.Eine schwüle Morbidezza, der sich allerdings auch die Inszenierung verweigert, die jetzt, zehn Jahre nach Zadek, Uwe Eric Laufenberg im Berliner Maxim-Gorki-Theater herausgebracht hat (Bühnenbild: Christoph Schubiger, Kostüme: Jessica Karge).Sie spielt, vom Dekor her, irgendwo in den zwanziger, dreißiger Jahren, und sie nimmt das fatale Finale schon vorweg; der letzte Akt, das mörderische Ende von Lulus Lebensweg in einer Londoner Dachkammer, ist aufgeteilt zu einer Rahmenhandlung, so daß wir schon zu Beginn sehen, wohin dieser Lebenswandel einmal führen wird.Der Zweck der Übung bleibt unklar.Ein moralischer Fingerzeig? Dr.Schöns Sohn Alwa, auch er ein Opfer des Luluschen Männerverschleißes, mit ihr zusammen in die Absteige verschlagen, räsoniert somit in sozusagen vorausweisendem Rückblick: "Das Weib blüht für uns in dem Moment, wo es den Menschen auf Lebenszeit ins Verderben stürzen soll.Das ist nun einmal so seine Naturbestimmung." Worauf Alwa (Harald Schrott), trübe vor sich hinstarrend, den Prolog des Tierbändigers - "Hereinspaziert!" - als Selbstgespräch zu Gehör bringt, das fahle Licht in ein glosendes Rot/Blau wechselt und Lulu ihren ersten Auftritt mit Dr.Schön hat, eine Szene im doppelten Sinne des Wortes, ein Machtkampf, bei dem sie als Waffe ihre Brüste einsetzt. Die Drastik, mit der hier mit den Mitteln der Körpersprache gearbeitet wird, steigert sich im Verlauf der Aufführung ins Bizarr-Exzessive: Schamlosigkeit ist da ein Fremdwort.Was schon Zadeks Protagonistin Susanne Lothar recht war, ist Laufenbergs Lulu billig: auch für Franca Kastein ist Selbstentblößung die natürlichste Sache der Welt.Die Liebesspiele mit dem Maler Schwarz - in der Rolle des naiven Jünglings zutreffend komisch: Frank Seppeler - gehen nicht nur über Stock und Stein, Sessel und Leiter die Wände des Ateliers hinauf, sondern auch ohne Umschweif unter die Gürtellinie.Damit nicht genug; wenn Lulus derzeitiger Gatte, der betagte Medizinalrat Dr.Goll (angemessen spießig im Lodenmantel: Albert Hetterle), das Pärchen in flagranti überrascht und entseelt zu Boden sinkt, reibt sich seine frischgebackene Witwe nicht die Hände, sondern den Schoß, und schon geht das Pärchen in den nächsten Kopulations-Clinch.Folgt sogleich der nächste Streich, genauer, die nächsten Streiche: nämlich auf den Hosenboden des Dr.Schön, den diese Lulu zu dessen wachsender Lust versohlt; auch läßt sie es nicht an jener Praktik fehlen, die jüngst aus amerikanischen Präsidentenbüros kolportiert wurde.So gesehen, wirkt es verwunderlich, was sich der Dr.Schön da wünscht: "daß du eine anständige Frau wirst." Manfred Karge, grauer Mantel, grauer Anzug, überhaupt Grau in Grau, rührt in dieser Rolle kaum eine Miene. Mit Schöns Tod hat auch die Aufführung ihr Pulver verschossen.Der Akt in dem Pariser Salon, wo sich eine Gesellschaft aus Mädchenhändlern und Börsenjobbern trifft, englisch radebrechend, artet mit dem Fallen der Kurse von "Jungfrau"-Aktien auch komödiantisch zu einem Tohuwabohu aus; echt komische Figur machen da nur Monika Lennartz als Gräfin Geschwitz und Wolfgang Hosfeld als Artist Rodrigo, der die Lesbierin abschleppen soll.Im finsteren London dann ist es eines von Lulus Opfern (Frank Seppeler), das als Zombie erscheint: der Mann nimmt in der Maske von Jack the Ripper gräßlich Rache an der Frau, indem er die Niedergestochene, über ihren Schoß gebeugt, ausweidet.Die Aufführung zeigt auch dieses Gemetzel mit dem Mut zum Exzeß, den sie zuvor in Sachen Sex bewiesen hat, und von der überwiegend freundlichen Resonanz beim Publikum mag sie sich darin bestätigt fühlen.Dennoch, gerade eine so attraktive Darstellerin wie Franca Kastein wäre gewiß imstande, sich in die laszive Aura der originalen Lulu zu hüllen - wer ließe sich davon nicht gern einlullen? Wieder am 12., 13.und 16.4., 19.30 Uhr.

GÜNTHER GRACK

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