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Alban Gerhardt ist Berliner, erst vor drei Jahren zog er nach Madrid.

© Kaupo Kikkas

Die neue CD des Cellisten Alban Gerhardt: Kopieren kann jeder

Mit seiner Einspielung der Cellokonzerte von Dmitri Schostakowitsch zeigt Alban Gerhardt, wie wichtig Mut für Musiker ist.

Manchmal muss man entschieden widersprechen. Auch wenn es natürlich bequemer wäre, weiter in Harmonie zu schwelgen. Aber zum Erwachsenwerden gehört dazu, sich eine eigene Meinung zu bilden und die dann auch zu vertreten. Für Künstler gilt das in besonderem Maße.

Das passende Mutmacher-Motto dazu stammt von Goethe: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Der Dichterfürst mahnt dazu, Traditionen zu respektieren, aber nicht, indem man sie einfach nachbetet, sondern, indem man sie sich erarbeitet. Was die Erkenntnis einschließt, dass man es selber anders machen möchte als die Altvorderen.

Der Cellist Alban Gerhardt verehrt Mstislaw Rostropowitsch. Der 2007 verstorbene Russe ist neben Pablo Casals sein Lieblingsmusiker. „Slawa“ wie ihn die Fans nennen, war eine auratische Erscheinung, ein Künstler, der die wichtigsten Komponisten seiner Zeit inspirierte, ihm Werke auf den Leib zu schreiben. Dimitri Schostakowitsch beispielsweise, der sich Rostropowitsch 1959 und 1966 für die Uraufführungen seiner beiden Cellokonzerte wünschte. Die Referenzaufnahmen, die anschließend entstanden, prägen die Rezeption der Stücke bis heute. Viel „russische Seele“ ist da zu hören, Rostropowitsch überwölbt die Partituren förmlich mit seiner Persönlichkeit, spielt schwelgerisch, mit großer Geste.

Rostropowitsch setzt sich über den Komponisten hinweg

„Als ich mit 22 Jahren die Cellokonzerte einstudierte, merkte ich gleich, dass ich einen anderen Zugang hatte als Rostropowitsch“, sagt Alban Gerhardt. „Ich spüre den Puls der Musik einfach auf eine andere Weise.“ Das machte den Virtuosen natürlich zunächst unsicher – doch beim Blick auf die Tempovorgaben des Komponisten fühlte er sich in seinem intuitiven Gefühl bestätigt. Spielt man den langsamen Mittelsatz des ersten Konzertes nämlich nach der originalen Metronomangabe, klingt er nicht nach Selbstmitleid, sondern nach Verzweiflung. Und so war das vom Komponisten auch gemeint, davon ist Alban Gerhardt überzeugt.

Ein Mensch, der im Sowjetsystem leidet, das war Dmitri Schostakowitsch, auf zermürbende Weise hin und her gerissen zwischen dem Wunsch aufgeführt zu werden und dem Drang, die unmenschlichen Seiten des Sozialismus anzuprangern. Und so, wie der 50-jährige Gerhardt die beiden Cellokonzerte mit dem WDR Sinfonieorchester und dem Dirigenten Jukka-Pekka Saraste beim Label Hyperion aufgenommen hat, hören sie sich nach packenden Erzählungen aus dem Leben des Komponisten an. Ungemein intensiv gestaltet der Solist seinen Part, der innere Druck, unter dem Schostakowitsch steht, ist deutlich zu spüren. In dieser biografischen Lesart kommt die Musik dem Hörer extrem nahe, wirkt zugleich ergreifend und erschütternd.

Alban Gerhardt hat seinen eigenen Zugang gefunden

Als junger Mann hat sich Alban Gerhardt förmlich durch die Dostojewski-Romane gefressen, um den Geist des ehemaligen Zarenreichs erfassen zu können, die Prägungen der Menschen, die ja durch die kommunistische Revolution von 1917 nicht einfach so hinweggewischt wurden. Das Bedürfnis, niemals die verehrten Vorbilder zu imitieren, sondern eine eigene Stimme zu finden, notfalls auch als Gegenentwurf zur Ästhetik der Idole, müsste Alban Gerhardt doch eigentlich zum idealen Lehrer machen. „Ja, natürlich spüre ich in mir die Lust, das weiterzugeben, was ich mir in den letzten drei Jahrzehnten erarbeitet habe“, sagt der Cellist. „Aber noch größer ist mein Verlangen, selber als Interpret aufzutreten.“

Und weil beides nun einmal nicht geht, wird er den Fokus bis auf weiteres auf seine Live-Auftritte legen, die jetzt, nach der Corona-Zwangspause, auch wieder losgehen. Außerdem kennt er bereits den perfekten Talent-Mentor, seinen Vater nämlich, Axel Gerhardt, der von 1966 bis 2009 Geiger bei den Berliner Philharmonikern war und mit seinen mittlerweile 77 Jahren immer noch begeistert an der Universität der Künste unterrichtet.

Er folgte seiner Frau nach Madrid

Bis vor drei Jahren hat auch Alban Gerhardt in Berlin gelebt, oder, besser gesagt, hier befand sich die Basis, die er zwischen den Auftritten in aller Welt ansteuern konnte. Rein körperlich war die Vielfliegerei nie ein Problem für den Cellisten, da er kein Jetlag kennt. Gedanklich aber macht ihm diese umweltschädliche Fortbewegungsart immer mehr zu schaffen, auch wenn er gleichzeitig den internationalen Kulturaustausch für unverzichtbar hält.

Seit 2017 heißt Alban Gerhardts Abflughafen Madrid. Als seine zweite Frau, die Violinistin Gergana Gergova, den Posten der Konzertmeisterin am traditionsreichen Teatro Real angeboten bekam, entschloss er sich, mit ihr nach Spanien zu gehen.

Und er hat es nicht bereut, auch wenn die Sommer dort brutal heiß sein können, wenn die Höchsttemperatur erst gegen 18 Uhr erreicht werden und die Nacht kaum Erleichterung bringt. Im Winter dagegen kommen manchmal Erinnerungen an die alte Heimat auf, berichtet er: „Da kann Madrid auch ganz schön grau und nasskalt sein.“

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