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Kultur: Die neueste Mitte

Was der „Volkspalast“ über die Berliner Kultur und ihre Zukunft verrät

In jeder asiatischen oder amerikanischen Großstadt wäre das Berliner Dauerdebattieren über Schloss oder Palast oder grüne Wiese undenkbar. Investoren hätten sich längst des gigantischen Filetstücks bemächtigt – und das muss ja nicht unbedingt eine Katastrophe sein. Auch noch im europäischen Hauptstadtmaßstab – in Moskau wird jetzt das monströse, wahrzeichenhafte Hotel Rossija weggeputzt – lahmt Berlin, wenn es um seine historisch verminte, so fürchterlich symbolschwere Mitte geht.

Doch nun, fünfzehn Jahre nach der Wende, erscheint die ideologische Fixierung auf die Wiederherstellung der preußischen Trutzburg oder den verspießerten Palast der Republik obsolet. Künstler haben die spukhässliche, zugleich hochattraktive Palast-Ruine erobert, trotz mieser Akustik und einem etwas dünnen Performance-Programm. Ihre listige Parole von der „Zwischennutzung“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Das Stahlgerippe wirkt wie ein Vakuum. Das Schwarze Loch zog zur Eröffnung Tausende in den „Volkspalast“. Ein heterogenes, junges, keineswegs rückwärtgewandtes altes DDR-Publikum. Eine so große Kultur-Party hat die Stadt lange nicht erlebt.

Es wird eine neue, veränderte Debatte geben um diesen toten, urplötzlich wiederbelebten Mittelpunkt. Ganz egal, wie die Fassade einmal aussehen wird, und mehr als Fassade könnte der Schlossspuk nicht sein – nur eine großzügige, vielfältige kulturelle Nutzung legitimiert die immensen Kosten, die der beschlossene Abriss und ein wie auch immer gestalteter Neubau mit sich bringen.

Volkspalast, das erinnert an Volksbühne. Denn es sind nicht zufällig Theatermacher, die ausbrechen und auf ihre Weise Stadtplanung betreiben; Amelie Deuflhard von den Sophiensälen, Matthias Lilienthal vom Hebbel am Ufer. In den zurückliegenden Jahren waren in der Hauptstadt jene Theater nachhaltig erfolgreich, die es verstanden haben, nicht allein ihren Bühnentempel, sondern auch ihre Umgebung neu zu bestimmen. Das gilt in erster Linie für Frank Castorfs Volksbühne, aber jetzt auch für Lilienthals HAU-Theaterkombinat in Kreuzberg. Es gilt, eingeschränkt, für die Schaubühne am Lehniner Platz. Und umgekehrt: Seit dem Verschwinden des Schiller-Theaters liegt dieser Teil Charlottenburgs brach. Und die Berliner Festspiele kämpfen in ihrem Haus um die Wiedererweckung des Areals um die ehemalige Freie Volksbühne.

Theater in Berlin ist oft Stadtpolitik, und man wird den gordischen Palast-Schloss-Knoten nicht allein mit Architektur durchhauen. Aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz kam bereits die Idee eines Hauptstadt-Forums, inspiriert vom Pariser Centre Pompidou. Der Coup der Zwischennutzung reißt neue Perspektiven auf. In einer Gegend, die vor repräsentativer Kultur nur so brummt (Deutsches Historisches Museum, Staatsoper, Museumsinsel), müssen auch andere Elemente Platz finden: spontane, ephemere, keinesfalls konservatorische Kultur.

Über Nacht ist der Palast-Torso schon wieder zu einem Symbol geworden – für die Vermischung und Beschleunigung der gesamten Berliner Kulturszene.

Rüdiger Schaper

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